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Frühlings Erwachen (German Edition)

Frühlings Erwachen (German Edition)

Titel: Frühlings Erwachen (German Edition)
Autoren: Frank Wedekind
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auf. Beim Spazierengehen reichen einem Schüler und Schülerinnen die Hand, und wenn man nach Hause kommt, dampft der Kaffee, der Topfkuchen wird aufgetragen, und durch die Gartentür bringen die Mädchen Äpfel herein. – Kannst du dir etwas Schöneres denken?
    Hänschen Ich denke mir halbgeschlossene Wimpern, halbgeöffnete Lippen und türkische Draperien. – Ich glaube nicht an das Pathos. Sieh, unsere Alten zeigen uns lange Gesichter, um ihre Dummheiten zu bemänteln. Untereinander nennen sie sich Schafsköpfe wie wir. Ich kenne das. – Wenn ich Millionär bin, werde ich dem lieben Gott ein Denkmal setzen. – Denke dir die Zukunft als Milchsette mit Zucker und Zimt. Der eine wirft sie um und heult, der andere rührt alles durcheinander und schwitzt. Warum nicht abschöpfen? – Oder glaubst du nicht, daß es sich lernen ließe?
    Ernst Schöpfen wir ab!
    Hänschen Was bleibt, fressen die Hühner. – Ich habe meinen Kopf nun schon aus so mancher Schlinge gezogen...
    Ernst Schöpfen wir ab, Hänschen! – Warum lachst du?
    Hänschen Fängst du schon wieder an?
    Ernst Einer muß ja doch anfangen.
    Hänschen Wenn wir in dreißig Jahren an einen Abend wie heute zurückdenken, erscheint er uns vielleicht unsagbar schön!
    Ernst Und wie macht sich jetzt alles so ganz von selbst!
    Hänschen Warum also nicht!
    Ernst Ist man zufällig allein – dann weint man vielleicht gar.
    Hänschen Laß uns nicht traurig sein! – Er küßt ihn auf den Mund.
    Ernst küßt ihn Ich ging von Hause fort mit dem Gedanken, dich nur eben zu sprechen und wieder umzukehren.
    Hänschen Ich erwartete dich. – Die Tugend kleidet nicht schlecht, aber es gehören imposante Figuren hinein.
    Ernst Uns schlottert sie noch um die Glieder. – Ich wäre nicht ruhig geworden, wenn ich dich nicht getroffen hätte. – Ich liebe dich, Hänschen, wie ich nie eine Seele geliebt habe...
    Hänschen Laß uns nicht traurig sein! – Wenn wir in dreißig Jahren zurückdenken, spotten wir ja vielleicht! – Und jetzt ist alles so schön! Die Berge glühen; die Trauben hängen uns in den Mund, und der Abendwind streicht an den Felsen hin wie ein spielendes Schmeichelkätzchen...

Siebente Szene
    Helle Novembernacht. – An Busch und Bäumen raschelt das dürre Laub. – Zerrissene Wolken jagen unter dem Mond hin. – Melchior klettert über die Kirchhofsmauer.
    Melchior auf der Innenseite herabspringend Hierher folgt mir die Meute nicht. – Derweil sie Bordelle absuchen, kann ich aufatmen und mir sagen, wie weit ich bin... Der Rock in Fetzen, die Taschen leer – vor dem Harmlosesten bin ich nicht sicher. – Tagsüber muß ich im Wald weiterzukommen suchen...
Ein Kreuz habe ich niedergestampft. – Die Blümchen wären heut noch erfroren! – Ringsum ist die Erde kahl... Im Totenreich! – Aus der Dachluke zu klettern, war so schwer nicht wie dieser Weg! – Darauf nur war ich nicht gefaßt gewesen...
Ich hänge über dem Abgrund – alles versunken, verschwunden – O wär' ich dort geblieben!
Warum sie um meinetwillen! – Warum nicht der Verschuldete! – Unfaßbare Vorsehung! – Ich hätte Steine geklopft und gehungert...! Was hält mich noch aufrecht? – Verbrechen folgt auf Verbrechen. Ich bin dem Morast überantwortet. Nicht so viel Kraft mehr, um abzuschließen... – Ich war nicht schlecht! – Ich war nicht schlecht! – Ich war nicht schlecht...
- So neiderfüllt ist noch kein Sterblicher über Gräber gewandelt. – Pah – ich brächte ja den Mut nicht auf! – O, wenn mich Wahnsinn umfinge – in dieser Nacht noch!
Ich muß drüben unter den letzten suchen! – Der Wind pfeift auf jedem Stein aus einer anderen Tonart – eine beklemmende Symphonie! – Die morschen Kränze reißen entzwei und baumeln an ihren langen Fäden stückweise um die Marmorkreuze – ein Wald von Vogelscheuchen! – Vogelscheuchen auf allen Gräbern, eine greulicher als die andere – haushohe, vor denen die Teufel Reißaus nehmen. – Die goldenen Lettern blinken so kalt.. . Die Trauerweide ächzt auf und fährt mit Riesenfingern über die Inschrift...
Ein betendes Engelskind – Eine Tafel –
Eine Wolke wirft ihren Schatten herab. – Wie das hastet und heult!
- Wie ein Heereszug jagt es im Osten empor. – Kein Stern am Himmel –
Immergrün um das Gärtlein? – Immergrün? – – Mädchen...
    Hier ruht in Gott
    WENDLA BERGMANN
    geboren am 5. Mai 1878
    gestorben an der Bleichsucht
den 27. Oktober 1892.
    Selig sind, die reinen Herzens sind...
Und ich bin ihr
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