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Frühe Erzählungen 1893-1912

Frühe Erzählungen 1893-1912

Titel: Frühe Erzählungen 1893-1912
Autoren: Thomas Mann
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Edition eine möglichst – wenn schon nicht völlig – einheitliche Erscheinung, die den ästhetischen Forderungen auch einer kritischen Edition Rechnung trägt. Man hat die druckgeschichtlichen Wirklichkeiten berücksichtigt und behutsam zurechtgerückt, ohne ihnen Gewalt anzutun. Damit soll es sein Bewenden haben.
    Handschriften und Arbeitsweise
    Die Handschriften der frühen Erzählungen besitzen natürlich auch ein selbständiges Interesse im Hinblick auf Thomas Manns kompositionellen Prozess. Erhalten sind fünf vollständige Handschriften:
Luischen
,
Die Hungernden
,
Ein Glück
,
Schwere
Stunde
und – nur mehr als Faksimile –
Tristan
. Hinzu kommen ein drei Seiten umfassendes Kapitel, das in den endgültigen Text von
Tonio Kröger
schließlich nicht aufgenommen wurde, und je eine Seite Arbeitsmanuskript aus
Tonio Kröger
und
Der Tod in Venedig
mit Passagen, die in diese Novellen eingingen. Zu
Tonio Kröger
und dem
Tod in Venedig
liegen auch handschriftliche Notizenkonvolute vor.
    Die Bestände sind nicht eben groß, durch glücklichen Zufall aber sind darin Proben vorhanden, welche die verschiedenen Stufen der kompositionellen Arbeit Thomas Manns veranschaulichen. Wir wissen aus seinen Antworten auf eine von 1928 datierende Rundfrage ([Zur Physiologie des dichterischen Schaffens]; GW XI, 777-780) ziemlich genau, wie er zu Werke ging: Materialien wurden zusammengetragen, größtenteils aus Notizbüchern abgeschrieben – bei der Aussage, er »führe kein Taschenbuch«, hat Thomas Mann die vierzehn erhaltenen Notizbücher außer Acht gelassen – und in gezielt werkspezifische {602} Konvolute verwandelt. Der Erzähltext wurde dann mit »neue[r], leichtgleitende[r] Feder« entworfen, und zwar auf »vollkommen glatte[m]«, in der frühen Zeit gewöhnlich karierten bei Prantl in München erstandenem Papier, denn »Äußere Hemmungen rufen innere hervor«. Schon Geschriebenes wurde »meist am nächsten Tage«, bevor er neu ansetzte, durchgesehen und korrigiert. Hatten sich Änderungen, Durchstreichungen und Umstellungen so sehr angehäuft, dass ein Setzer die Handschrift nicht würde entziffern können, so wurde die betreffende Seite neu abgeschrieben. Der frühe Thomas Mann hat laut dem Aufsatz
Meine Arbeitsweise
seine Texte nie durch fremde Hand abschreiben lassen (GW XI, 746). Was letztendlich an den Verlag ging, war eine nicht völlig reine Reinschrift. Das heißt, es gab daran noch Änderungen der vorletzten Minute, Durchstreichungen und Einfügungen über der Zeile oder am Rand, die von Lektor und Setzer in Kauf zu nehmen waren. Änderungen der allerletzten Minute erlaubte dann die Korrekturphase: »Korrekturfahnen sind eine Gelegenheit, zu streichen.« (GW XI, 779) Von der jeweils in Arbeit befindlichen Handschrift hatte Thomas Mann übrigens, falls man der im
Eisenbahnunglück
gemachten Aussage (Textband S. 478) Glauben schenken darf, keine Abschrift. Nur bei den
Hungernden
gibt es Gründe, das Vorhandensein zweier Handschriften zu vermuten (vgl. Kommentarband zu Handschriften und Textlage). Beim
Tod in Venedig
hat die bereits erwähnte Beteiligung zweier Verlage dies ohnehin mit sich gebracht.
    Am ›reinsten‹ von den fünf Handschriften ist diejenige von
Luischen
. Alle anderen weisen erhebliche Bearbeitungsspuren auf. Bei
Ein Glück
scheint Thomas Mann für die Buchausgabe nicht den Text des Zeitschriftenerstdrucks benutzt, sondern die ursprüngliche Handschrift wieder hervorgesucht und bearbeitet zu haben. Bei den
Hungernden
ist – wie soeben ange {603} deutet – die Lage noch komplizierter. Ein Beispiel für den Normalfall einer mittelstark überarbeiteten handschriftlichen Druckvorlage bildet die Handschrift von
Schwere Stunde
, die sich durch Spuren von Druckerschwärze als die für den Erstdruck benutzte Handschrift ausweist. Anhand des vom Marbacher Literaturarchiv zweifarbig veröffentlichten Faksimiles dieser Erzählung kann man den kompositionellen Prozess genau verfolgen. Eine etwas bizarre Variation bildet Thomas Manns in Bezug auf
Tonio Kröger
geschilderte »sonderbar geduldige Technik, […] sämtliche Korrekturen mit dichter Tintenschraffierung zu bedecken, das Getilgte also zu schwärzen, damit es in keiner Weise mitspräche, und so eine Art von Reinschrift herzustellen. Die Schraffierungen durften nicht gelöscht werden, sondern mußten an der Luft trocknen, und so war bei dieser Schlussarbeit das ganze Manuskript, in seine Einzelblätter aufgelöst, auf allen Möbeln und
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