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Frühe Erzählungen 1893-1912

Frühe Erzählungen 1893-1912

Titel: Frühe Erzählungen 1893-1912
Autoren: Thomas Mann
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Bänden
Der kleine Herr Friedemann
und
Tristan
enthaltenen Erzählungen, wo der geringe Abstand zwischen Erstdruck und Buchausgabe von einem solchen einheitlichen ersten Entstehungsprozess zu reden erlaubt. Übrigens auch von einer einheitlichen Rezeption, denn es lassen sich in der kurzen Zeitspanne keine Phasen unterscheiden. In jedem Fall hat erst die Buchausgabe eine kritische Diskussion überhaupt ausgelöst.
    Anders verhält es sich aber dort, wo der zeitliche Abstand größer war und sich zwei weit voneinander getrennte Arbeitsgänge ausmachen lassen. Erst 1914 erschien der dritte neue Novellenband,
Das Wunderkind
. Inzwischen war 1909
Der kleine Herr Friedemann
mit teilweise anderem Inhalt als bei der Erstauflage – vgl. Bandberichte im Anhang des Kommentarbandes – neu aufgelegt worden.
Das Wunderkind
versammelt Novellen, die aus den Jahren 1903 bis 1905 stammen, nebst einer einzigen späteren Arbeit von 1911. Zumindest bei den früheren dieser Texte handelt es sich also, insoweit es Textänderungen gegeben hat – das betrifft hauptsächlich
Ein Glück
, aber punktuell auch {597}
Schwere Stunde
 –, um eine nachträgliche Bearbeitung. Das gilt ebenfalls für
Die Hungernden
von 1903, die 1909 in der Zweitauflage des
Kleinen Herrn Friedemann
abgedruckt wurden. In beiden Fällen war seit der Erstfassung Zeit genug vergangen, damit sozusagen die schöpferische Fährte erkalten konnte. Zwar könnte man auch hier das Argument vom ›großen Stilisten‹ vorbringen, nur war es eben streng genommen ein anderer Stilist, der auf einer anderen Lebens- und Entwicklungsstufe im Nachhinein geändert, sich selber gleichsam umgeschrieben hat. Auch konnten sich bei der Überarbeitung, so trivial dieser Nachweis anmuten mag, Widersprüchlichkeiten einschleichen: Im Erstdruck von
Ein Glück
zum Beispiel hat Baron Harry eingangs eine Narbe »über der rechten Braue« (S. 85). In der Buchausgabe befindet sie sich »über der rechten Backe« (S. 66). Dessen ungeachtet heißt es in dieser Zweitfassung nach wie vor gegen den Schluss zu, »die Narbe glühte rot in seiner weißen Stirn« (S. 81; hier Textband S. 392). Kurz: der
Wunderkind-
Band stellt einen anders gelagerten Fall dar, als die beiden früheren Sammelbände. Bei den in ihm enthaltenen Erzählungen wie bei den
Hungernden
wurde in der vorliegenden Edition der Erstdruck zum Leittext genommen. Ähnliches gilt für die Erstlingsnovelle
Gefallen
von 1894, die beim ersten Neudruck 1958 nach Thomas Manns Tod Eingriffe in Interpunktion und Kursivschreibung erlitten hatte.
    Ein Fall für sich ist
Wälsungenblut
, dessen Hintergründe an anderer Stelle voll ausgeleuchtet werden (vgl. Entstehungsgeschichte im Kommentarband). Wir bringen im Textband den kontroversen ursprünglichen Schluss. Da die Erzählung zu Lebzeiten Thomas Manns nie in einer von ihm autorisierten Ausgabe für die breite Öffentlichkeit erschienen ist – es gab lediglich einen Privatdruck, der beide Fassungen darbot –, so ist dieser Schluss mindestens ebenso legitim wie der auf fremdes Geheiß geänderte. {598} Dass der anonyme Herausgeber von E58, ohne dafür Gründe zu nennen, den geänderten Schluss genommen hat und dass ihm 1960 die Herausgeber der
Gesammelten Werke
(GW) gefolgt sind, ist kein Argument.
    Terence J. Reed
    Äußere Textgestalt
    Soviel zur Textsubstanz. Aber auch schon die äußerliche Textgestalt gibt Probleme auf, die der Erstdruck nicht lösen, sondern verkomplizieren würde. Die Redaktionen der Zeitschriften und Zeitungen, in denen fast alle frühen Erzählungen Thomas Manns zunächst erschienen sind, hatten alle in Sachen Orthographie und Interpunktion ihre je eigene Praxis. Die Dinge wurden dadurch nicht einfacher, dass man sich zu diesem Zeitpunkt mitten in einer Rechtschreibreform befand, die in der Berliner Orthographischen Konferenz von 1901 gipfelte, und die sich bei Redaktionen von Fall zu Fall in verschiedenem Grad durchgesetzt hatte. Erst um 1910 hat sich die Lage stabilisiert. Wollte man also auf den Erstdruck zurückgreifen, so würde sich eine bunte Vielfalt an Schreibweisen und Zeichensetzungen ergeben, durch die man den Schreibusancen des Autors in keiner Weise näher kommen würde. Die zufällige äußere Form, die bei Essays, Umfragen, Stellungnahmen und sonstigen Zeitzeugnissen einen dokumentarischen Wert haben kann, würde bei künstlerischen Arbeiten unnötigerweise stören.
    Davor wäre man aber auch nicht gefeit gewesen, indem man die bei S. Fischer
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