Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Frostblüte (German Edition)

Frostblüte (German Edition)

Titel: Frostblüte (German Edition)
Autoren: Zoë Marriott
Vom Netzwerk:
in die Knie und sprang. Die Erde knackte, meine Füße hinterließen Abdrücke. Ich klammerte mich mit beiden Händen oben an der Brustwehr fest und zog mich mühelos hoch. Als ich auf der Wehrplattform aufkam, breiteten sich Eisblumen auf dem Stein aus. Die Bergwächter, die Ion festgehalten hatten, ließen ihn los und traten eingeschüchtert zurück.
    »Ion Constantin« , wiederholte ich, meine Stimme ein ganzes Wolfsrudel in voller Lautstärke. »Dieses Mal wirst du für deine Missetaten büßen.«
    Er zuckte nicht zurück. Steif, als wäre es eine große Anstrengung für ihn, beugte er den Kopf und spuckte mir vor die Füße.
    Der Speichel gefror auf der Stelle. Mein Stiefel knirschte, als ich Ion im Nacken packte. Die Eiszapfen an meinen Fingerspitzen bohrten sich in ihn; Blut spritzte und gefror um die Wunden zu roten Blumen. Ich hob ihn hoch, bis er hilflos mit den Füßen zappelte.
    »Mach weiter, wenn du dich traust«, zischte er durch die Zähne. Dort, wo ich ihn festhielt, breiteten sich Eisblasen auf seiner Haut aus, er zuckte zwar vor Schmerzen, wandte jedoch den höhnischen Blick nicht von mir ab. »Mach … weiter.«
    Ich hätte nur ein wenig zudrücken, nur ein wenig die Finger krümmen müssen, um ihm das Genick zu brechen. Um diesen bösartigen Mund für immer zu stopfen. Meine Finger griffen fester zu.
    Hinter mir flog die Tür zur Brustwehr auf. Ich hörte eilige Schritte.
    »Warte!« Es war Lucas Stimme. »Bring ihn nicht um! Nicht so!«
    »Du bittest … um Gnade … für deinen großen Bruder? Wie … rührend«, krächzte Ion.
    »Frost, Arian hat mir erzählt, was im Feuer mit dir passiert ist«, sagte Luca. »Er hat mich gezwungen ihm zuzuhören, obwohl ich versucht habe ihn zu ignorieren. Er war so stolz auf dich. Mach nicht den gleichen Fehler, den ich begangen habe. Ion ist es nicht wert, nicht, nachdem du so hart gekämpft hast, deinen Wolf zu bezähmen.«
    Ion zappelte schwach in meiner Umklammerung. Die Blasen bedeckten nun mehr als die Hälfte seines Gesichts und verfärbten die Haut gelb und knallrot wie bei einer Verbrennung. »Bei den Göttern … du hast … wirklich kein Rückgrat. Du bist nicht … mein Bruder.«
    »Du brauchst das nicht zu tun. Bitte, Frost«, flehte Luca. »Er will dich nur noch mehr verletzen, dir noch mehr Schaden zufügen. Etwas anderes wollte er noch nie. Als Menschen leiden zu sehen. Das wird mir jetzt erst bewusst.«
    »Wehleidiger … Feigling .« Ions Hände hoben sich, als wolle er an meinen Fingern reißen, weil er es nicht mehr ertrug. Er schrie auf, als seine Hände an der Eisschicht hängen blieben, die meine Haut bedeckte. »Du bist … jetzt ein Nichts … hörst du mich, Luca? Nichts! «
    Ich ließ ihn los. Ion schlug hart auf die Plattform, das Blut rann träge aus seinem Hals und seinen Händen. Er starrte mich ungläubig an.
    »Luca ist jemand, der du nie sein kannst.« Als ich sprach, trat meine menschliche Stimme aus dem Heulen des Wolfs hervor. Das Eis auf meiner Haut zersprang und wehte wie Schnee davon. Die Eiszapfen in meinem Haar klirrten melodisch auf den Stein. »Luca hat etwas, das du nie verstehen kannst. Luca wird geliebt.«
    Ich wandte mich von ihm ab und schmiegte mich in Lucas Arme.

Fünfunddreißig
    »Leb wohl, mein Lieb, es ist so weit,
    so gern ich bleiben möcht;
    es ist so weit, mein einzig Lieb,
    weit fort ruft mich die Pflicht …«
    Die Kerze flackerte und tanzte, obwohl das Glas in meinen Händen sie schützte. Ein Wind kam auf und ließ die Bäume rings um das Hügelgrab aus weißen Steinen rauschen.
    »Leb wohl, mein Lieb, gedenke stets,
    wie ich einst weilt’ bei dir;
    lass dir mein Herz, mein Lieb, leb wohl,
    ich hoff, du weinst nicht mehr …«
    Das Rascheln der Blätter übertönte fast meine Stimme, als ich das Lied beendete. Ich klemmte das Windlicht vorsichtig zwischen zwei große Steine und sah zu, wie sich die Flamme lang und dünn in die Höhe reckte und schließlich erlosch. Über mir gingen die Sterne im dunklen Wasser des Himmels auf.
    Nach einer Weile begannen mein Rücken und meine Beine vom langen Hinknien zu schmerzen. Doch ich rührte mich nicht. Ich wartete.
    Seit der Schlacht in der Festung der Abtrünnigen war fast ein Monat vergangen. Ich wusste nur wenig von dem, was auf der Brustwehr passiert war, nachdem ich das Bewusstsein verloren hatte. Die dramatische Machtdemonstration des Wolfs hatte mich vollkommen ausgelaugt, und als ich wieder aufwachte, wurde ich auf einer hastig
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher