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Frösche: Roman (German Edition)

Frösche: Roman (German Edition)

Titel: Frösche: Roman (German Edition)
Autoren: Mo Yan
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Frühling 1953 den neuen Methoden der Geburtshilfe begegneten. Die Wehmütter taten mit ihren diffamierenden Lügenmärchen hinter dem Rücken meiner Tante ein Übriges. Obwohl sie erst siebzehn war, verfügte sie über außergewöhnliche Erfahrungen. Dies und ihre glänzende, goldwerte Herkunft machten sie bei uns in Nordost Gaomi zu einer höchst einflussreichen, von allen bewunderten und angesehenen Persönlichkeit. Dazu kam, dass auch ihr Äußeres außergewöhnlich war. Ich will gar nicht von ihrer Kopfform, ihrem Gesicht, ihrer Nase und den Augen anfangen, allein ihre Zähne waren unvergleichlich! Bei uns in Gaomi haben wir häufig eine Fluorüberversorgung, Alt und Jung haben deswegen gelbe Zähne. Wahrscheinlich, weil Gugu lange in Liautung gelebt, dort frisches Quellwasser aus dem Gebirge getrunken und bei der Achten Route-Armee noch dazu das Zähneputzen gelernt hatte, waren ihre Zähne von dem giftigen Fluor verschont geblieben. Wie haben wir immer ihren Mund voller strahlend weißer Zähne bewundert! Besonders die jungen Mädchen haben sie immer beneidet!
    Das erste Baby, das sie holte, war Chen Nase. Sie fand nur schade, dass es das Balg eines Großgrundbesitzers war, wo sie sich doch vorgestellt hatte, beim ersten Mal die Nachkommenschaft eines Revolutionärs auf die Welt zu holen. Aber um damals der neuen Methode der Geburtshilfe eine Chance zu geben und die alte durch die neue abzulösen, hatte sie weder Zeit noch Wahl, sich ein würdiges Erstes auszusuchen.
    Als sie die Nachricht von der nahenden Niederkunft Alinas erreichte, schulterte sie schnurstracks ihren Arzttornister, schwang sich aufs Fahrrad – Räder waren bei uns damals eine Seltenheit – und sauste wie der Blitz los; für die fünf Kilometer von der Krankenstation bis zu uns ins Dorf brauchte sie nur zehn Minuten. Die Frau des Dorfparteizellensekretärs Yuan Gesicht, die damals am Ufer des Kiaolai-Flusses beim Wäschewaschen war, hat mit eigenen Augen gesehen, wie Gugu in voller Fahrt über die kleine Steinbrücke preschte. Ein Hund, den Gugu beim Spielen an der Brücke überraschte, geriet so in Panik, dass er kopfüber ins Wasser stürzte.
    Mit dem Arzttornister in der Hand rannte sie in das Seitenhaus, das Alina bewohnte. Die Dorfwehmutter Tian Guihua war schon zur Stelle, eine spitzmündige Alte mit eingefallenen Wangen, schon damals Mitte sechzig und heute – Erleuchte uns Amithaba! – längst zu Erde zerfallen. Tian Guihua gehörte zu den energisch eingreifenden Hebammen. Sie hockte bereits auf Alina und drückte mit vollem Gewicht auf deren kugeligen Bauch, als Gugu zur Tür hereintrat. Die Alte litt an chronischer Bronchitis, ihr krächzendes Keuchen mischte sich mit dem gellenden Schreien der Gebärenden – man meinte, im Zimmer würde ein Schwein abgestochen –, es war eine tragisch heroische Atmosphäre. Der Grundbesitzer Chen Stirn kniete vor der Wand und stieß immer wieder heftig mit dem Kopf dagegen, wie ein hochschnipsender Schnellkäfer sah er aus, dazu murmelte er undeutlich einen Singsang.
    Ich bin oft bei Chen Nase gewesen, ich weiß, wie es bei ihm zu Hause aussieht. An den niedrigen Gang im Seitenhaus grenzen zwei kleine Zimmer, die Türen zum Gang haben. Wenn man zur einen Tür hineintritt, steht man quasi vor dem Herd, an der Stirnseite ist eine sechzig Zentimeter hohe Zimmerwand aufgemauert, auf deren Rückseite sich der Herd in den aus Lehm gebauten Kang fortsetzt, auf dem alle schlafen.
    Als Gugu zur Tür hineinstürmte, konnte sie alles überblicken, was dort geschah. Sie war sofort wutentbrannt. Sie schmiss ihren Tornister in die Ecke und war mit einem Riesensatz bei der Alten, mit der Linken griff sie deren linken Arm, mit der Rechten deren rechte Schulter, und schon hatte sie sie mit einem kräftigen Ruck unter den Kang befördert. Die Alte stieß sich den Kopf am Nachttopf, der zu Bruch ging, so dass die Pisse über den Boden schwappte. Den Raum erfüllte alsbald ein feuchter, streng riechender Dunst. Aus der Platzwunde am Kopf der Wehmutter strömte dunkles Blut, keine wirklich bedrohliche Verletzung, dennoch schrie sie schrill wie am Spieß. Bei so einem Schreien erschrickt jeder normale Mensch zu Tode, Gugu aber keine Spur, denn sie war welterfahren. Sie hatte schon allerhand gesehen!
    Sie stand vor dem Kang und maßregelte Alina, während sie sich ihre Gummihandschuhe überstreifte: »Du hörst zuerst mal mit Schreien und Weinen auf. Das hilft uns jetzt nicht weiter. Wenn du überleben möchtest,
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