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Friedrich Nietzsche: Wanderer und freier Geist (German Edition)

Friedrich Nietzsche: Wanderer und freier Geist (German Edition)

Titel: Friedrich Nietzsche: Wanderer und freier Geist (German Edition)
Autoren: Sabine Appel
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so ganz deutlich über seinen persönlichen Glauben, der ihm einfach so abfiel, wie er ja später meinte; da war kein Aufbegehren, kein Kampf, keine Seelennot. Wenn man die Aufzeichnungen aus diesen Jahren betrachtet, dann scheint es, als habe das alles wirklich nur auf der Ebene einer Textkritik stattgefunden – und am meisten ereifert er sich eben tatsächlich über die Repräsentanten des Glaubens: Priester und Theologen und nicht weniger die Religionsphilosophen. Nietzsche betrachtete es als einen Denkfehler, Theismus und Moralität zu identifizieren «oder überhaupt die Moral abhängig zu machen von der Anschauung, die man von Gott hat» . Was aber blieb den Priestern und Theologen anderes übrig, als das Zwingende ihres Offenbarungsglaubens beweisen zu müssen? Sie hatten ihr Selbstdenken in den Dienst der Kirche gegeben, und dann hatten sie alle Kraft verloren, ihre Moral anders als mit ihrem Theismus begründen zu können. Schließlich aber gebe es dieses Mittel in der Inspirationslehre, das Buch mit dem angeblich übermenschlichen Ursprung: die Bibel. «Fragt man nach der Begründung der letzten Lehre, so wird man auf Selbstzeugnisse dieser Schrift verwiesen. Leugnet man überhaupt deren Kraft, so giebt es jetzt drei Wege. Entweder man wird einfach des Unglaubens bezichtigt oder man wird an eine sogenannte Religionsphilosophie gewiesen, die mit grösster Sicherheit immer das beweist, was man wünscht, oder man ruft den christlichen Staat um Hülfe. Grosse Dichter und Denker gelten für verkappte Heiden. Der Werth jeder Persönlichkeit wird nach dem Grade ihres Bekenntnisses gemessen. Kurz, die christliche Priesterschaft leidet an demselben Fanatismus, der jede Priesterschaft in der Welt beseelt hat. Ein unlogischer Grund, anmassliches Vordrängen in alle Verhältnisse, in Schule, Staat und Kunst, Machtansprüche geschleudert gegen Gründe, ungemessenes Selbstgefühl [der Priester] als solcher, an die die Seligkeit des Menschen geknüpft ist u. s. w., alles das findet sich überall wieder, und von einem Fortschritt, selbst nur von einer Gradverschiedenheit kann nicht die Rede sein. Die Priesterschaft ist immer nur der Ausdruck der sich allein berechtigt anerkennenden, sich selbst genügenden Religion. Der Stoff zu letzterer ist gleichgültig.»
    In die Leipziger Zeit fällt auch die entscheidende und folgenreiche Begegnung Nietzsches mit Richard Wagner. Sie wurde möglich gemacht durch die Frau seines Lehrers, denn Sophie Ritschl war Wagnerianerin und kannte zudem Wagners Schwester Ottilie Brockhaus, bei der sich der Meister gerade inkognito aufhielt – seine diversen politischen und finanziellen Kalamitäten zwangen ihn regelmäßig zu zeit- und ortsgebundener Deckung. Sophie Ritschl trug auch nicht unwesentlich zu der Bindung bei, die Nietzsche an seinen Lehrer und das Haus Ritschl hatte. Es war die Zeit, als Professorengattinnen sich noch beinahe mütterlich um die Studenten ihrer Ehemänner kümmerten. Goethe hatte das, ebenfalls in Leipzig, genauso erlebt – mit dem Unterschied allerdings, dass er sechzehn war, als er zum Studieren nach Leipzig kam, während Nietzsche inzwischen ein junger Mann war von vierundzwanzig. Er hatte ganz sicher noch, wie man so sagte, «kein Weib berührt» . Noch aus der Bonner Zeit gibt es die ominöse Anekdote Paul Deussens, als Nietzsche in Köln abstieg und von einem süffisanten «Dienstmann» nach einer Stadtbesichtigung in ein Bordell geführt wurde, das Nietzsche panikartig verließ. Thomas Mann hat die Szene im «Doktor Faustus» dann ausgebaut zur Geschichte von «Heteara Esmeralda», denn sein Protagonist kehrt an den Lustort zurück und sucht just die, die ihm die Krankheit bringt und zugleich die höchste künstlerische Inspiration. Ob Nietzsche auch an den Ort zurückkehrte, der eine geheime Faszination für ihn hatte, diesen oder einen anderen, ist nicht verbrieft; überhaupt zieht sich durch sein Sexualleben, wie man wohl sagen muss, ein ganz großes Fragezeichen. Aber die «Töchter der Wüste» geistern in durchsichtigen Gaze-Kleidern durch seine Schriften. Ihre Anziehungskraft hat eine dunkle Ambivalenz wie die Domina mit der Reitpeitsche, die er eventuell meint, wenn er vom «Weibe» spricht, zu dem man die Peitsche mitnehmen soll, und die in der bekannten Photographie mit Lou Salomé so sonderbar sinnfällig wird. Von den zehn Jahren als Basler Professor wohl abgesehen, als er ein Jahreseinkommen hatte von 800 Talern, hätte Nietzsche sich
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