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Friedhof der Kuscheltiere

Friedhof der Kuscheltiere

Titel: Friedhof der Kuscheltiere
Autoren: Stephen King
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und wußte auch schon, was Irwin sagen würde. Er begriff, was es mit dem blauen Wagen auf sich hatte. Er begriff alles. Die Leine -- die Leine, die in die Dunkelheit führte --, er tastete sich an ihr entlang, Hand über Hand. Könnte er sie doch fallenlassen, bevor er ihr Ende erreicht hatte! Aber es war seine Leine. Er hatte sie sich eingehandelt.
    »Ich dachte schon, die Verbindung wäre unterbrochen«, sagte Goldman.
    »Nein, der Hörer ist mir aus der Hand gerutscht«, sagte Louis. Seine Stimme war gelassen.
    »Ist Rachel gut angekommen?«
    »Ja, das ist sie«, sagte Louis und dachte an den blauen Wagen mit Church auf dem Dach. Seine Augen verfolgten die schlammigen Fußspuren auf dem Boden.
    »Ich muß mit ihr sprechen«, sagte Goldman. »Gleich. Es ist wegen Eileen.«
    »Ellie? Was ist mit Ellie?«
    »Ich glaube, das sollte Rachel...«
    »Rachel ist im Augenblick nicht da«, sagte Louis heiser. »Sie ist weggefahren, um Brot und Milch zu holen. Was ist mit Ellie? Nun reden Sie schon, Irwin.«
    »Wir mußten sie ins Krankenhaus bringen«, sagte Goldman zögernd. »Sie hatte einen Alptraum oder eine ganze Reihe von Alpträumen. Sie war hysterisch und konnte sich nicht beruhigen. Sie...«
    »Ist sie sediert worden?«
    »Wie bitte?«
    »Beruhigt«, sagte Louis ungeduldig. »Hat man ihr ein Beruhigungsmittel gegeben?«
    »Ja, oh ja. Sie haben ihr eine Tablette gegeben, und danach ist sie wieder eingeschlafen.«
    »Hat sie etwas gesagt? Hat sie gesagt, was sie so geängstigt hat?« Die Knöchel der Hand, die den Hörer hielt, waren weiß.
    Schweigen am anderen Ende der Leitung -- ein langes Schweigen. Diesmal wagte Louis nicht, es zu unterbrechen, so gern er es auch getan hätte.
    »Das war es ja gerade, was Dory so bestürzt hat«, sagte Irwin schließlich. »Sie redete ununterbrochen, und dann weinte sie so heftig, daß wir kaum etwas verstanden. Dory wäre beinahe...«
    »Was hat sie gesagt?«
    »Sie hat gesagt, der Große und Schreckliche Oz hätte ihre Mutter umgebracht. Aber sie hat es anders ausgesprochen. Sie sagte -- sie sagte ›der Gwoße und Schweckliche Oz‹ -- genau so, wie unsere Tochter es immer aussprach. Unsere Tochter Zelda. Glaub mir, Louis, ich hätte viel lieber Rachel danach gefragt -- aber was habt ihr Eileen über Zelda erzählt und darüber, wie sie gestorben ist?«
    Es kann sein, daß Sie Geräusche hören, die wie Stimmen klingen, aber das sind die Seetaucher unten in der Gegend von Prospect. Der Schall trägt.
    »Bist du noch da. Louis?«
    »Wird sie es überstehen?« fragte Louis; seine Stimme schien weit entfernt! »Wird Ellie es überstehen? Was hat der Arzt gesagt?«
    »Verzögerter Schock nach der Beerdigung«, sagte Goldman. »Mein eigener Arzt war da. Lathrop. Ein guter Mann. Er sagte, sie hätte etwas Fieber, und es könnte sein, daß sie sich an nichts erinnert, wenn sie am Nachmittag aufwacht. Aber Rachel sollte zurückkommen. Louis, ich habe Angst. Ich glaube, du solltest auch kommen.«
    Louis antwortete nicht. Das Auge des Herrn ruht auf dem Sperling, hieß es in der Bibel. Doch Louis war ein minderes Wesen, und sein Blick folgte den schlammigen Fußspuren.
    »Louis, Gage ist tot«, sagte Goldman. »Ich weiß, wie schwer es für euch -- für dich und Rachel -- sein muß, sich damit abzufinden. Aber eure Tochter ist am Leben, und sie braucht euch.«
    Ja, das sehe ich ein. Du magst ein dämlicher alter Esel sein, Irwin, aber vielleicht hat dich die Alptraumszene, die sich an jenem Apriltag im Jahre 1965 zwischen deinen beiden Töchtern abspielte, ein bißchen Empfindsamkeit gelehrt. Ja, sie braucht mich, aber ich kann nicht kommen, weil ich fürchte -- ganz entsetzlich fürchte --, daß das Blut ihrer Mutter an meinen Händen klebt.
    Louis betrachtete seine Hände. Er sah den Schmutz unter den Fingernägeln. Er glich dem Schmutz der Fußabdrücke auf dem Küchenfußboden.
    »Gut«, sagte er. »Ich verstehe. Wir kommen so schnell wie möglich. Noch heute abend, wenn es geht. Danke.«
    »Wir haben getan, was wir konnten«, sagte Goldman. »Vielleicht sind wir zu alt, Louis. Vielleicht sind wir schon immer zu alt gewesen.«
    »Hat sie sonst noch etwas gesagt?«
    Goldmans Antwort war wie eine Totenglocke, die gegen die Wände seines Herzens schlug. »Eine ganze Menge, aber ich konnte nur einen Satz genau verstehen: ›Paxcow hat gesagt, es ist zu spät‹.«
     
     
    Er legte den Hörer auf und kehrte benommen zum Herd zurück, ohne recht zu wissen, ob er vorhatte, mit seinem
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