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Frieden auf Erden

Frieden auf Erden

Titel: Frieden auf Erden
Autoren: Stanislaw Lem
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verstanden hat, für sich eine dunkle Gefahr«, meinte der Professor. »Mag sein, daß man am besten sie selber anzusprechen sucht.«
    »So wie ich das mache? Das habe ich bisher nicht in Erwägung gezogen. Aber warum eigentlich? Was wollen Sie ihr mitteilen?«
    »Das hängt von ihrer Reaktion ab. Herr Tichy, Ihr Fall ist einmalig. Es gab bisher noch keinen Menschen, der bei voller geistiger Gesundheit einen alles andere als durchschnittlichen, aber durchschnittenen Geist hatte.«
    »Ich will die Sache klargestellt wissen«, sagte ich und streichelte beschwichtigend den Handrücken meiner Linken, die ihre Finger durch Krümmen und Strecken gleichsam geschmeidig zu machen suchte, eine Übung, die mir verdächtig vorkam. »Mein Interesse deckt sich nicht mit dem der Wissenschaft, um so weniger, je mehr ich – wie Sie sich ausgedrückt haben – als Fall einmalig bin. Sollten Sie oder ein anderer mit IHR – Sie wissen, was ich meine – eine gemeinsame Sprache finden, könnte das für mich ein unvorteilhaftes oder gar scheußliches Ende nehmen, falls sie sich immer mehr verselbständigen würde.«
    »Ach, das ist doch unmöglich!« sagte der Professor energisch, zu energisch für meinen Geschmack. Er hatte die Brille abgenommen und putzte sie mit einem Lederläppchen. Seine Augen hatten nicht den etwas hilflosen Ausdruck, den man von Leuten gewöhnt ist, die ohne Brille fast nichts sehen. Er musterte mich so scharf, als brauchte er gar keine Sehhilfen, und wandte den Blick sofort ab.
    »Nun passiert aber immer das, was unmöglich ist«, sagte ich, sorgfältig die Worte wägend. »Auch die Geschichte der Menschheit besteht aus puren Unmöglichkeiten, und der technische Fortschritt ebenfalls. Ein junger Philosoph hat mir klarmachen wollen, daß es den Zustand, in dem ich mich befinde, gar nicht geben kann, weil er allen Lehrsätzen der Philosophie widerspricht. Das Bewußtsein hat unteilbar zu sein. Die sogenannten Bewußtseinsspaltungen sind im Grunde aufeinanderfolgende Wandlungsphasen, verbunden durch Störungen des Gedächtnisses und des Identitätsempfindens. Schließlich ist das keine Torte!«
    »Ich sehe, daß Sie sich in der Fachliteratur auskennen«, stellte der Professor fest und setzte sich die Brille auf die Nase. Er fügte sogar noch etwas hinzu, aber ich hörte nicht mehr hin, ich hatte sagen wollen, daß sich das Bewußtsein nach Ansicht der Philosophen nicht aufschneiden läßt wie eine Torte, unterließ es aber, weil meine Linke ihre Finger auf den Handteller der Rechten gelegt hatte und Zeichen gab. Das war bisher nicht vorgekommen. McIntyre bemerkte, daß ich meine Hände beobachtete, und begriff sofort.
    »Sagt sie etwas?« fragte er mit gedämpfter Stimme, als sei jemand anwesend, der ihn nicht hören sollte.
    »Ja.«
    Ich war völlig perplex, gab die Botschaft der Hand aber weiter: »Sie will ein Stück Torte.«
    Das Entzücken, das die Züge des Professors erstrahlen ließ, überzog mich mit einer Gänsehaut. Ich gab der linken Hand zu verstehen, daß sie ihre Torte kriegen würde, wenn sie nur ruhig abwarte, und kam auf meine Angelegenheiten zurück.
    »Von Ihrem Standpunkt aus wäre es großartig, wenn sie sich immer mehr verselbständigen würde. Ich nehme Ihnen das nicht übel, es wäre ja auch ein unbeschreibliches Ding: zwei ausgewachsene Kerle in einem Körper! Was sich da an Entdeckungen dranhängen läßt! Bloß ich habe nichts davon, daß in meinem Schädel die Demokratie eingeführt wird, ich will nicht immer mehr, sondern immer weniger polarisiert sein.«
    »Sie stellen also einen Mißtrauensantrag? Auch das ist mir sehr gut begreiflich.«
    Der Professor lächelte freundlich.
    »Zunächst will ich Ihnen versichern, daß alles, was ich von Ihnen erfahren habe, unter uns bleibt, unter dem Siegel der ärztlichen Schweigepflicht. Zweitens denke ich nicht daran, Ihnen eine konkrete Therapie vorzuschlagen. Tun Sie, was Sie für richtig halten. Bitte bedenken Sie sich genau, natürlich nicht jetzt und hier. Werden Sie länger in Melbourne bleiben?«
    »Das weiß ich noch nicht. Jedenfalls werde ich mir erlauben, Sie anzurufen.«
     
    Tarantoga, der im Wartesaal gesessen hatte, sprang auf, als er mich sah.
    »Na, Professor, Ijon, was ist los?«
    »Vorerst ist keinerlei Entscheidung gefallen«, gab McIntyre sein Statement ab. »Herr Tichy hat mancherlei zu bewältigen. Ich meinerseits stehe jederzeit zu seiner Verfügung.«
    Als ein Mann von Wort ließ ich das Taxi unterwegs halten, vor
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