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Friedemann Bach

Friedemann Bach

Titel: Friedemann Bach
Autoren: Albert Emil Brachvogel
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geliebten Flöte und hielt eine Andachtsstunde nach seiner Art.
    Währenddessen flog der Wagen Graf Gotters nach Berlin. Er suchte sofort den Oberbürgermeister, Kriegsrat Philippi, der die Verwaltung der Polizei unter sich hatte, auf und machte ihn mit dem Befehl des Königs bekannt. Noch am gleichen Tage berief Philippi die Kommissare des abzusuchenden Stadtviertels; er trug ihnen auf, alle Armenvögte, Exekutoren, sämtliche mit den örtlichen Verhältnissen vertrauten Polizeibeamten aufzubieten und sie -- bei Androhung strenger Bestrafung für jede Nachlässigkeit -- zu verpflichten, des Meisters Friedemann Bach, genannt der »alte Musiker«, unter allen Umständen habhaft zu werden, auch alle Personen, die über ihn oder sein Verbleiben irgendwelche Auskunft geben könnten, festzuhalten und dem Kriegsrat persönlich vorzuführen.
    Eine fieberhafte Suche nach dem Verschollenen setzte ein. Spuren wurden aufgenommen, verfolgt, wieder fallen gelassen. Der Musiker war wie vom Erdboden verschwunden. Endlich -- der Juni war fast verstrichen -- brachte der Polizeimeister der Königsvorstadt in Erfahrung, daß der »einäugige Anton«, ein alter Flötist, wohl der einzige zu einer Auskunft fähige Gewährsmann sei, weil Bach mit ihm zusammen am häufigsten in den Kneipen aufgespielt hatte.
    Anton wurde schnell gefunden. Er gab zu Protokoll: »Ich habe schon seit dem Spätherbst vorigen Jahres nicht mehr mit dem ›alten Musiker‹ zusammen gespielt. Früher wohnte er mit mir in dem Hause des Sargmachers, verschwand aber eines Tages. Wohin, wußte ich nicht. Später einmal, vor ein paar Wochen, war ich im Stelzenkrug; ich hatte da gespielt und trank gerade einen, als er in den Keller kam. Er sah sich nach niemand um, setzte sich in eine Ecke, ließ sich ein Glas Branntwein kommen und nahm ein altes Buch aus der Tasche, in dem er las. Ich ging zu ihm hin und sagte: ›Guten Abend, was tust du denn?‹ -- ›Ich lese, laß mich zufrieden, Anton!‹ sagte er, und ich darauf: ›Was liest du denn da für eine alte Schwarte, daß du deinen Freund nicht einmal ansiehst?‹ -- ›Schwarte?‹ fauchte er mich an, ›dieses Buch ist das größte Wunderwerk der Tonkunst, das es gibt, und es ist von meinem Vater!‹
    Er steckte das Buch in die Brusttasche, knöpfte den Rock zu und ging. Ich schlich ihm dann nach, um zu wissen, wo er wohnte. Er ging nach der Neuen Königstraße, die Nummer weiß ich nicht mehr, aber es war das vorletzte Haus links. Vor der Türe stand eine Lumpensammlerin, die oben wohnt; sie empfing ihn, und ich dachte mir, daß er bei ihr wohl wohnen muß. Später wollte ich einmal ein Tanzstück von ihm; ich ging also hin, aber die Alte fuhr mich an und sagte: ›Hier wohnt kein Musiker!‹ -- Das ist alles, was ich weiß.«
    Philippi setzte sofort den Grafen Gotter von der Aussage Antons in Kenntnis, und die beiden Männer beschlossen, sich von dem Tatbestand selbst zu überzeugen, indem sie bei der Lumpensammlerin Haussuchung hielten. Naumann, der bei der Beratung zugegen war, weil er sich gerade über den seitherigen Verlauf der Ermittlungen hatte erkundigen wollen, nahm die Gelegenheit wahr, für sich, Frau von Eichstädt, Mendelssohn und Plümicke um die Erlaubnis zur Teilnahme nachzusuchen; sie wurde ihm ohne weiteres gewährt.
    Es war so! Im dritten Stockwerk des von dem Flötenspieler bezeichneten Hauses wohnte Friedemann Bach, der über Nacht berühmt gewordene Meister der Töne, der sich vor seinem Triumph und Sieg versteckte.
    Der »alte Musiker« ruhte auf einem Strohlager, hager und langgestreckt, abgezehrt, matt, mit schwachem Atem und stockendem Pulsschlag. Von den verkniffenen Mundwinkeln hatte ein feines, erdenfernes Lächeln alle Bitterkeit weggewischt.
    Zu Häupten des Schwerkranken saß die Lumpensammlerin und umtreute ihn mit jener zärtlichen und behutsamen Sorgfalt, die nur eine tiefe, ein ganzes langes Leben ausfüllende und umfassende Liebe gewähren kann. In den auffallend großen, immer noch schönen, aber müde gewordenen Augen der alten Frau leuchtete es zuweilen wie ein heller Widerschein glückseliger Erinnerungen auf, und wenn sie nun mit linder Hand den Schweiß der Schwäche von der bleichen Stirn des Röchelnden nimmt, so taucht eine Felsenkuppe vor ihr auf, über der die Abendsonne strahlt und um deren Gipfel sehnsüchtige Melodien einer Geige schweben, und ein Ruhelager im schwellenden Moos und das Liebesschluchzen einer Nachtigall im Tal ...
    Und sie sieht sich wandern, rast-
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