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Fremde Federn

Fremde Federn

Titel: Fremde Federn
Autoren: Unbekannter Autor
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umzustimmen.
    Aber auch das mißbilligte er.
    Die Sonne tauchte in einem atemberaubenden Schauspiel über dem Wasser auf und legte sich als Goldglanz auf die Bäume nahe dem Fußweg. Der Wind riß die letzten verwelkten Blätter von den Zweigen und wirbelte sie in vielfältigen Mustern durch die Luft. Schäfchenwolken schraubten sich in Spiralen, und geradeso schraubten sich Fritzis lebhafte Gedanken. Die Entscheidung, die sie treffen mußte, beschwor Gefahr herauf. Angefangen bei ihrer Familie hier in Chicago.
    Fritzi hatte ihr Fahrrad fast erreicht, als sie wie angewurzelt stehenblieb. Aus dem dichten Gebüsch hinter den Bäumen starrten ihr zwei große vorstehende Augen entgegen. Sie gehörten einem Mann -einem schmutzigen, abgerissenen Landstreicher, der sie schon einige Zeit beobachtet haben mußte. Er kroch aus dem Gebüsch und machte ein paar Schritte auf sie zu. Blitzartig wurde ihr klar, daß es früh am Morgen und sie mutterseelenallein hier draußen war.
    Der Landstreicher baute sich breitbeinig vor ihr auf, kaum mehr als eine Armeslänge entfernt. Die Ärmel seines Mantels glänzten wie eine fettige Bratpfanne. »Hallo, Süße.« Fritzi schluckte und überlegte verzweifelt. Selbst gegen den Wind roch sie den scharfen Gestank aus Schnaps und Schweiß. Der Mann war kräftig, zweifellos viel stärker als sie.
    Er blinzelte ihr zu.
    »Mädchen, die um diese Zeit allein spazierengehen, sind entweder Ausreißerinnen oder kleine Levee-Huren.« Das Levee war das berüchtigte Hafenviertel Chicagos. Seine tiefe Stimme klang belegt. Er streckte eine Hand aus und grinste lüstern. Seine Fingernägel waren abgebrochen und kohlrabenschwarz.
    »Komm, gib mir einen Kuß!« Seine linke Hand fuhr an seinen Hosenschlitz. »Wohin du magst.«
    In Ermangelung ihrer gewohnten Verteidigungswaffe, einer langen Haarnadel, griff Fritzi auf ihre größte Begabung zurück. Als sie jetzt antwortete, war ihre Stimme eine laute und fast perfekte Imitation seines schnaufenden Baritons. »Laß dich von dem langen Haar nicht irreführen, Kleiner. Du bist leider an den Falschen geraten.«
    Die Augen des Landstreichers traten noch mehr hervor. Das männliche Bellen aus Fritzis trockenem Mund hatte ihn vollkommen aus dem Konzept gebracht. Sie war schon immer eine phantastische Imitationskünstlerin gewesen und hatte sich damit früher oft Ärger eingehandelt, wenn sie unbedacht Lehrer nachgeahmt hatte. Die Verwirrung des Landstreichers hielt gerade so lange an, wie sie brauchte, um zu ihrem Fahrrad zu laufen, es auf den Fußweg zu zerren, anzuschieben und eines ihrer langen Beine über den Sattel zu schwingen. Dann trat sie in die Pedale, als wäre der Teufel hinter ihr her.
    Als sie einen Blick zurück über die Schulter riskierte, sah sie, wie sich der Landstreicher die Nase rieb, und hörte, wie er ihr unflätige Worte nachrief. Sie raste um eine Biegung und riß sich die Mütze vom Kopf, so daß ihr die blonden Locken auf die Schultern fielen. Erleichtert lachte sie auf und radelte noch schneller.
    Zumindest heute morgen hatte sich ihre Begabung schon bezahlt gemacht. In New York City war sie vielleicht noch mehr wert.
    Zeit zu gehen ...
    Da war sie ganz sicher. Und die Schwierigkeiten, die sie sich damit einhandelte, würde sie auf sich nehmen.
    Während Fritzi weiterradelte, ließ sie sich noch einmal alles durch den Kopf gehen, was ihr an diesem Morgen zu einer inneren Offenbarung geworden war:
    Diffuse Empfindungen wie das zunehmende Unbehagen an dem Zusammenleben in diesem Haus, in dem sie groß geworden war, wo sie aber entschieden nicht mehr hingehörte.
    Törichte Dinge wie der Aushang am Kosmetikstand im Kaufhaus Fair: ÜBER FÜNFUNDZWANZIG? DIE CREME VON LUXOR BEUGT FALTEN VOR!
    Lachhafte Begebenheiten wie eine erst gestern abend gefallene, wohlgemeinte Bemerkung ihres Vaters. Die Familie hatte beim Abendbrot gesessen, der in deutschen Haushalten traditionell letzten, leichten Mahlzeit des Tages. Ilsa, Fritzis Mutter, berichtete stolz, daß sie immer noch mit Komplimenten überschüttet werde für das verschwenderische Fest, das die Crowns alljährlich an ihrem Hochzeitstag für gute Freunde gaben, für Joe Crowns Geschäftspartner und andere, die zum deutsch-amerikanischen Kreis in Chicago gehörten. Mit diesem Fest Anfang Oktober hatten sie ihren siebenunddreißigsten Hochzeitstag gefeiert.
    Der General schloß sich der Meinung an, daß es ein schönes Fest gewesen sei, wenn nicht das schönste überhaupt. Mit besorgter Miene
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