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Frauenversteher

Frauenversteher

Titel: Frauenversteher
Autoren: Carsten Hoefer
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weil … weil uns langweilt. Ja, uns langweilt, hier ist ja nichts los, die Nacht ödet uns an. Daher möge er uns nun bespaßen. Er möge uns bespaßen mit dem lustigen Bimmelsäckchen.«
    An dieser Stelle muss ich vielleicht denjenigen unter den Lesern, die noch keine Eltern sind, kurz erklären, was ein Bimmelsäckchen ist. In so einem Bimmelsäckchen befinden sich zwei kleine Blechglöckchen, die ein leises, feines Klingelgeräusch von sich geben. Damit diese Blechglöckchen aber auf keinen Fall den zartbesaiteten König drücken oder gar piksen, sind sie eingewebt in ein solches flauschiges, weiches Bimmelsäckchen.
    Jetzt reflektieren Sie die oben beschriebene Situation doch einmal ganz rational. Da stehen Sie also nun um halb zwei nachts im Kinderzimmer mit nichts als Ihrem Schlafanzug und der Sie erfüllenden Müdigkeit. Wer sind Sie? Wir könnten annehmen, dass Sie ein Mann Ende zwanzig, Anfang dreißig sind. Sie haben eine ordentliche Ausbildung hinter sich gebracht und gehen nun einem mehr oder minder befriedigenden Beruf nach, der zumindest die Familie ernährt. Sie arbeiten hart, beklagen sich aber nicht. Sie haben eine verantwortungsvolle Position, die Sie mit Gewissenhaftigkeit auszufüllen versuchen. Von Ihnen wird Seriosität, Fleiß und ein hohes Maß an Eloquenz erwartet. In den letzten Jahren konnten Sie sich den Ruf eines führungs- und durchsetzungsstarken, aber fairen Teamplayers erarbeiten. Ihre Mitarbeiter respektieren Sie auf hohem kollegialem Niveau. Sie denken, dass Sie nach einem anstrengenden Arbeitstag vielleicht die Nacht durchschlafen dürfen, um neue Kräfte für den folgenden Arbeitstag zu sammeln. Aber weit gefehlt! Denn da liegt Ihnen gegenüber ein schreiender Säugling, der gerade einmal fünf Monate existent ist. In diesen fünf Monaten war er noch keinen einzigen Moment produktiv tätig, er hat noch keinerlei Beitrag für unser aller Bruttoinlandsprodukt geleistet. Er hat ausschließlich konsumiert, indem er recht fleißig gegessen hat, und er hat Dreck verursacht, indem er die von ihm konsumierte
Nahrung in die von Ihnen bezahlten Windeln praktiziert hat. Diese kleine, fleischgewordene Umweltverschmutzung versucht also nun um halb zwei Sie, einen gestandenen Mann in der Blüte seiner produktiven Schaffenskraft, einen Hochleistungsträger unserer Gesellschaft, zum Hofnarren mit dem lustigen Bimmelsäckchen zu degradieren?
    Und Sie machen es! Als wäre es das Selbstverständlichste von der Welt, als hätten Sie nachts um halb zwei eh nichts Besseres vor. Ohne ein Wort des Widerspruchs denken Sie voller Unruhe lediglich daran, des Königs Launenhaftigkeit schnellstmöglich zu beschwichtigen. Sie eilen zu der bescheuerten Spielekiste hin, suchen panisch das Bimmelsäckchen, kehren zurück vor den König und bimmeln, als ob es kein Morgen gäbe. Haben Sie das Bild deutlich genug vor Ihren Augen? Sie stehen da mitten in der Nacht völlig fertig im Schlafanzug und bimmeln mit dem Bimmelsäckchen. Das Merkwürdige aber ist: Sie kommen sich nicht einmal blöd vor. Es fühlt sich ganz natürlich an, als handelte es sich hier um ein geradezu archaisches Ritual väterlicher »Bemutterung«.
    Seine Majestät, plötzlich ganz fasziniert vom lieblichen Klang der Glöckchen und der väterlichen Stimme, winkt Sie noch etwas näher zu sich heran mit den Worten: »Ja, es ist ganz nett, Euer Gebimmel, fahrt fort damit, es erheitert uns.«
    Wenn Sie Glück haben, schläft Majestät nach fünfzehnminütiger Bimmelei wieder ein. Dann schleichen Sie sich katzenhaft leise aus den königlichen Schlafgemächern hinaus und dürfen auch wieder schlafen. Natürlich nicht bis der Wecker klingelt, das wäre dann doch zu viel des Glücks. Der Schlaf darf Sie umfangen bis halb vier in der Frühe. Denn dann ertönt erneutes Geschrei: »Scherge!« Abermals springen Sie aus dem Bett, eilen aus der Bedienstetenkemenate in die königlichen Schlafgemächer und gähnen ein schlaftrunkenes »Ihr habt nach mir schicken lassen, Gebieter?« Mit prüfenden Augen fixiert seine Majestät Sie nun skeptisch, um schnüffelnd die Nase in den Raum zu recken: »Scherge, riecht Ihr das auch? Dieser unangenehme Geruch? Ist ja ekelhaft, geradezu
fäkal, könnte man fast sagen.« Sie schnuppern ebenfalls ein wenig umher und stellen fest: »Ja, Sire, es stinkt.«
    »Dieser Gestank riss uns aus dem Schlaf, er trat offensichtlich ganz urplötzlich auf. Wo kommt das überhaupt her? Uns dünkt, die Quelle muss irgendwo hier in der Nähe
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