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Frauenbewegung und Feminismus - eine Geschichte seit 1789

Frauenbewegung und Feminismus - eine Geschichte seit 1789

Titel: Frauenbewegung und Feminismus - eine Geschichte seit 1789
Autoren: C.H.Beck
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politischen Rahmenbedingungen – als Schnittstelle zwischen Verwaltung, Politik, traditionellen Frauenverbänden und Initiativen der Frauenbewegung erwies (Rudolph/Schirmer 2004). Die aus der autonomen Bewegung entstandene Frauenforschung hat seit der zweiten Hälfte der 1980er Jahre einen bemerkenswerten Prozess der Institutionalisierung und Professionalisierung erlebt, der sie heute als kritische Instanz im Kanon der Wissenschaften ausweist, auch wenn es in vieler Hinsicht anRessourcen und der Rezeption ihrer Erkenntnisse mangelt. Frauen- und Geschlechterforschung kann und will nicht die Politik einer sozialen Bewegung bestimmen, doch sie ist ihr kulturelles Gedächtnis und bereitet mit der Einübung in Kritik und ihrem Expertinnenwissen möglicherweise den Boden für eine nächste ‹Welle› des Feminismus.
Die ostdeutsche Frauenbewegung
    Die ostdeutschen Frauen, die sich entscheidend am revolutionären Umbruch beteiligten und im Herbst 1989 den
Unabhängigen Frauenverband (UFV)
gründeten, hatten eine andere, ebenfalls bewegende und bewegte Vorgeschichte. Seit dem Beginn der 1980er Jahre gab es verstärkt informelle Frauengruppen, die sich als Teil einer «nichtstaatlichen Frauenbewegung in der DDR» verstanden und deren Existenz eine wichtige Ausgangsbasis für die 1989 mögliche Mobilisierung war. Zu ihnen gehörten drei Strömungen, die in der Grauzone zwischen Freundinnengruppe, Selbsthilfegruppe und Diskussionskreis entstanden waren (Kenawi 1995): 1. Die Gruppen «Frauen für den Frieden», die sich nach dem Erlass eines Wehrdienstgesetzes von 1982 gebildet hatten, das im Falle der Mobilmachung auch Frauen zum Dienst mit der Waffe verpflichtete; 2. die kirchlichen Frauengruppen, die sich zum Teil aus der traditionellen Frauenarbeit in der Kirche rekrutierten, vor allem aber aus Arbeitsgruppen zu feministischer Theologie, die in Anlehnung an die Frauenbewegung in der Ökumene sowie die Frauenforen der Evangelischen Kirchentage einen der wenigen erlaubten Kommunikationsströme zwischen Ost und West nutzen konnten. Schließlich 3. die Lesbengruppen, die sich seit Mitte der 1980er Jahre teilweise aus den «Arbeitskreisen Homosexualität» abgelöst hatten und ein lesbisches Selbstverständnis entwickelten. Alle diese Gruppen, die als Oppositionsbewegung Schutz im Raum der evangelischen Kirche und Akademien fanden, veranstalteten seit 1984 jährliche Frauentreffen und bildeten im Laufe der Zeit verschiedene Netzwerke, die durch Rundbriefe wie das
Lila Band
und Arbeitsgruppen zu Gewalt gegen Frauen, Gentechnologie oderSozialisation verbunden waren. Während die Friedensgruppen sich vor allem als Systemopposition verstanden, der es vorrangig um Diktaturkritik ging, waren die anderen beiden Gruppierungen eher als feministisch zu kennzeichnen, da für sie die Patriarchatskritik im Mittelpunkt stand. In der Wende formierten sich die Oppositionsgruppen neu, haben sich insbesondere die Frauen aus den Friedensgruppen (z.B. Bärbel Bohley, Ulrike Poppe oder Katja Havemann) in den gemischten Gruppen der Bürgerrechtsbewegung – wie
Neues Forum
,
Demokratie Jetzt
oder
Demokratischer Aufbruch
– engagiert und wesentlich zu ihrem Erfolg beigetragen.
    Dem «Aufruf an alle Frauen» zur Gründung des
Unabhängigen Frauenverbandes
am 3. Dezember 1989 in der Berliner Volksbühne waren mehr als 1200 Frauen gefolgt. Sie kamen aus ganz unterschiedlichen Zusammenhängen. In dem von Ina Merkel verfassten und per Akklamation angenommenen
Manifest für eine autonome Frauenbewegung
unter dem Motto «Ohne Frauen ist kein Staat zu machen» ging es um die «Interessenwahrnehmung und -vertretung von Frauen» und eine «sozialistische Alternative» zur Wiedervereinigungspolitik, denn dies «hieße in der Frauenfrage drei Schritte zurück». Stattdessen forderten die Frauen «einen modernen Sozialismus auf deutschem Boden», «eine ökologische Reorganisation der Gesellschaft», Demokratie, Selbstverwaltung und Öffentlichkeit, «eine multikulturelle Gesellschaft» und «ein solidarisches Miteinander aller sozialer Gruppen» (Kahlau 1990, 28f.).
    Westdeutsche Feministinnen – nach wie vor auf kritischer Distanz zu institutionalisierter Politik, an Niederlagen und Marginalisierung gewöhnt – konnten nur staunen, wie schnell ihre ostdeutschen Kolleginnen bereit waren, die gewonnene «Freiheit vom Staat» im zivilgesellschaftlichen Sinn zur direkten «Teilnahme am Staat» als parteipolitisch organisierte Interessenvertretung zu nutzen
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