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Frauenbewegung und Feminismus - eine Geschichte seit 1789

Frauenbewegung und Feminismus - eine Geschichte seit 1789

Titel: Frauenbewegung und Feminismus - eine Geschichte seit 1789
Autoren: C.H.Beck
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Frauengruppen gebildet, in denen nicht nur Studentinnen, sondern auch Hausfrauen und Lehrerinnen mitwirkten.
    Über das studentische und universitäre Milieu hinausgewachsen ist die Frauenbewegung allerdings erst mit der Kampagne für die Streichung des Abtreibungsparagraphen § 218 StGB, in der 374, auch prominente Frauen in dem Journal
Der Stern
bekannten: «Ich habe abgetrieben.» Sie stellten unversehens auf einer Welle der Solidarität eine breite Öffentlichkeit für alle weiteren mit der Geschlechtsrolle der Frau zusammenhängenden Probleme her. Eine entsprechende französische Kampagne hatte als Vorbild gedient und war von
Alice Schwarzer
, die als Journalistin in Paris arbeitete, in die BRD getragen worden. Gleichzeitig mit den ersten Frauengruppen unter dem Kennwort «Aktion 218» bildeten sich nun überall im Land sog. Selbsterfahrungsgruppen, die nach dem Muster amerikanischer «consciousness raising groups» (vgl.
Frauenjahrbuch
1975) einen kollektiven Lernprozess darüber einleiteten, dass die Beschränkungen der Frauenrolle, Benachteiligungen und strukturelle und individuelle Gewaltgegen Frauen nicht privates Geschick, sondern ein Politikum seien, das öffentlich zu debattieren und zu verändern wäre. Die Kampagne gegen die strafrechtliche Verfolgung des Schwangerschaftsabbruchs stand in allen neuen feministischen Bewegungen beispielhaft für die Kontrolle und Indienstnahme weiblicher Sexualität. Sie brachte einen ‹wunden Punkt› im Geschlechterverhältnis zur Sprache, der zugleich den Zusammenhang zwischen der Befreiung aus persönlicher Abhängigkeit und aus staatlicher Bevormundung verdeutlichte. In dem von der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung übernommenen Slogan «Das Private ist politisch» war damit ein Deutungsrahmen gefunden, der die Diskurse der neuen Frauenbewegung bestimmen sollte.
    Eine andere Kampagne, die fast gleichzeitig auch in England, den USA und Kanada sowie Italien zu einer breiten Mobilisierung führte, griff das Problem der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung auf, strategisch pointiert in der Kampagne
Lohn für Hausarbeit
. Auch für die, die das Ziel, Hausarbeit aufzuwerten und zu entlohnen, für eine falsche Strategie hielten, waren mit der Thematisierung von Hausarbeit als Arbeit und ihrer Unterbewertung und Unsichtbarkeit Alltagserfahrungen angesprochen, die als Dreh- und Angelpunkt geschlechtsspezifischer Benachteiligung und hierarchischer Machtverhältnisse erkannt wurden. Damit wurden viele Selbstverständlichkeiten im Geschlechterverhältnis plötzlich in Frage gestellt. Die lebhaften Debatten über das Verhältnis von Lohn- und Hausarbeit, angestiftet auch durch die Marx’sche Theorie und ihre Unterscheidung zwischen Produktion und Reproduktion, führten zu der Einsicht, dass die Stellung der Frauen in Familie und Beruf ebenso wie in Staat und Gesellschaft entscheidend durch die normierte Arbeitsteilung bestimmt wird. Die Frauen- und Geschlechterforschung hat daran anknüpfend in ihren Analysen die grundsätzliche Erweiterung des Arbeitsbegriffs vorgeschlagen, der nicht nur Erwerbsarbeit oder Hausarbeit im engeren Sinn, sondern vor allem auch die Erziehungs- und «Beziehungsarbeit», die «Arbeit aus Liebe», und damit die «Produktion und Reproduktion der gesellschaftlichen Arbeitskraft in physischer,emotionaler und sexueller Hinsicht» meinte. So der Jargon in den 1970er Jahren – heute wird die Problematik unter dem Schlüsselbegriff «Care» im Sinne von Fürsorge, Pflege und Sorge für andere verhandelt. In der Sache blieb die Arbeitsteilung in der Familie und auf dem Arbeitsmarkt das nicht gelöste Kernproblem in der Geschlechterfrage.
    Auch der neue Feminismus war demnach im Hinblick auf die Problemstellungen und Diskurse von Anbeginn eine internationale Bewegung. Ermutigung boten den westdeutschen Frauen etwa die Aufsehen erregenden Aktionen (etwa die öffentliche Verbrennung von Büstenhaltern in New York 1968) des
Women’s Liberation Movement (Women’s Lib)
in den USA und unter gleichem Namen in Großbritannien, die Aufmüpfigkeit der
Dollen Minnas
in den Niederlanden oder der «ererbte revolutionäre Stil» (Françoise Picq) des
Mouvement de Libération des Femmes (MLF)
in Frankreich. Über die Medien zirkulierten zwischen den verschiedenen Ländern und verschiedenen Feminismen Informationen und Texte, die zu Bestsellern avancierten, z.B. Simone de Beauvoirs
Das andere Geschlecht
aus dem Jahr 1949, das jedoch erst 1968 auf Deutsch in
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