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Frauenbewegung und Feminismus - eine Geschichte seit 1789

Frauenbewegung und Feminismus - eine Geschichte seit 1789

Titel: Frauenbewegung und Feminismus - eine Geschichte seit 1789
Autoren: C.H.Beck
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«allgemeine» Wille, die Welt von Grund auf zu erneuern, eine neue Form der Öffentlichkeit schuf, d.h. einen politischen Raum, in dem Männer und Frauen der verschiedenen Schichten des Volkes agieren, ihre Stimme erheben und intervenieren konnten. Darunter waren nun auch Frauen nicht nur aus den untersten Schichten des Volkes, nicht nur die «Marktfrauen und Fischweiber», sondern auch Frauen bürgerlicher Herkunft und Aristokratinnen. Wenn auch schon die Hungerunruhen und Agrarrevolten unter dem Ancien Régime ein typisch weibliches Aktionsfeld waren, so ging es bei dem Marsch der Pariserinnen am 5. und 6. Oktober 1789 von Paris nach Versailles um mehr als den Kampf ums alltägliche Brot. Ziel der ersten Massendemonstration von etwa 8000 bis 10.000 Frauen, die schließlich auch von 20.000 Männern der Nationalgarde, der neuen Bürgermiliz, eskortiert wurden, war es vielmehr, die königliche Familie und die in Versailles tagende Nationalversammlung in die Hauptstadt und damit ins Zentrum der Revolution und des Volkswillens zurückzuholen, nicht zuletzt um den König zu kontrollieren und zu zwingen, die Abschaffung der Feudalität und die am 26. August 1789 verkündete Erklärung der allgemeinen Menschenrechte zu unterschreiben.
    Mit dem Marsch der Pariserinnen am 5. Oktober 1789 nach Versailles – einer Intervention, die die Beschlüsse der Nationalversammlung umsetzen, realisieren sollte – haben die Frauen das Recht auf Teilnahme am öffentlichen Leben nicht nur gefordert, sondern bereits ausgeübt (Petersen 1987, 13). Dieser «Tag der Weiber» sollte in die Geschichte eingehen und hat doch zugleichdas Bild der Frauen in der Französischen Revolution eher verdunkelt und verzerrt (nachzulesen insbesondere bei Michelet 1913, zuerst 1854). Das Klischee der «Weiber, die zu Hyänen» wurden (Schiller), d.h. vulgär und zügellos, mit Spitzhacken und Gewehren ausgerüstet, ja in Männerkleidern der Revolution zum Durchbruch verhalfen, machte von da an die Runde und grub sich zur Denunziation jeglicher weiblicher Mitwirkung in der Politik in das historische Gedächtnis ein. Dabei war, solange es keine Beteiligungsrechte gab, die Regel- und Formverletzung die einzige Möglichkeit, sich Gehör und Aufmerksamkeit zu verschaffen. Das gilt schon im Hinblick auf die führende Rolle der Frauen bei den Brot- und Hungerrevolten des Ancien Régime, erst recht seit 1789 bei allen Versuchen, sich in der neuen politischen Öffentlichkeit, in den Clubs und neuen Verfassungsorganen zu Wort zu melden, blieben sie doch in der Nationalversammlung sowie der Constituante und dem Konvent bis zuletzt auf die Zuschauertribüne verbannt.
Geschlechterstreit und Aufklärung
    Das Aufbegehren und die Kritik an der Geschlechterordnung waren keine Erfindung der Französischen Revolution. Vielmehr hatte es schon vorher seit der Frührenaissance, also über mindestens vier Jahrhunderte, einen sog. Geschlechterstreit («querelle des sexes» bzw. «querelle des femmes») gegeben. Dies war ein männlicher Diskurs, an dem sich auch gelehrte Frauen beteiligten. Insbesondere
Christine de Pizan
(1365–1429) gilt als eine der Ersten, die sich in diesen Streit der Frauen und um Frauen mit einem umfangreichen Werk, u.a. ihrem Buch
Die Stadt der Frauen
von 1404/05, prominent eingeschaltet hatte. Mit diesem Lese- und Trostbuch für Frauen entfachte sie den ersten großen Literaturstreit in Frankreich um den berühmten
Rosenroman
von Jean de Meun (um 1280), dessen misogynes Frauenbild die ganze Frauenverachtung seiner Zeit und der kulturellen Überlieferung zusammenfasst. Indem Pizan eine Umdeutung der antiken und mittelalterlichen Quellen vornahm und auf große Frauenfiguren in der Geschichte, in Bibel und Mythologie verwies,gelang es ihr, die Frauen im Rekurs auf die Tugenden der Vernunft, der Rechtschaffenheit und der Gerechtigkeit zu Selbstbewusstsein und Widerstand, allegorisch zum Bau einer Stadt der Frauen als «Festung gegen die Schar der boshaften Belagerer und Verleumder des weiblichen Geschlechts» zu ermutigen (Pizan 1986, zuerst 1405).
    Im 18. Jahrhundert der Aufklärung wurde die Kontroverse angesichts eines auf die Vernunft des Menschen gegründeten Menschenbildes unumgänglich und unerbittlicher. «Der Verstand hat kein Geschlecht», lautete die Schlussfolgerung, die der Aufklärer François Poullain de la Barre in seiner Schrift
Über die Gleichheit beider Geschlechter
(1763) zog, ganz im Sinne der Philosophie René Descartes’, dessen
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