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Frau Ella

Frau Ella

Titel: Frau Ella
Autoren: Florian Beckerhoff
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zu verteidigen schien. Er wäre nie auf die Idee gekommen, dass Schrankwände Sicherheit spendeten.
    Diese Wohnung war wie eine schlechte Version der Frau, die er in den letzten Tagen kennengelernt hatte. Die muffige Spießigkeit war kaum zu ertragen. Das Foto des Mannes, mit dem sie wohl ihr Leben verbracht hatte, brachte alles auf den Punkt. Es war so traurig nichtssagend, dass es nicht zu fassen war. Ein ganzes Leben, um so zu enden, im Schatten der Schrankwand. Und genau so würden sie eines Tages auch über ihn urteilen. Nein, er war nicht so vermessen, sich ihr überlegen zu fühlen. Da zog Klaus die Vorhänge auf, und nachdem Sascha sich an das schon fast vergessene Sonnenlicht gewöhnt hatte, entdeckte er den Balkon, der überhaupt nicht zu der Wohnung passte. Ja, in den Pflanzen erkannte er Frau Ella wieder. Liebevoll gepflegt standen da die braunen Blumenkästen, in der Mitte ein Klappstuhl mit vergilbtem Kissen. Das war Frau Ellas Platz. Er öffnete die Tür nach draußen, entdeckte sofort die grüne Gießkanne mit ihrem Duschaufsatz und hastete in die Küche, um sie zu füllen. Er musste einfach etwas tun, warum auch immer. Dann, während er endlich Gemüse und Blumen goss, die zwar gelitten hatten, sich aber noch hielten, ließ die Beklemmung ein wenig nach. Zumindest konnte er wieder atmen. Das musste doch ein gutes Vorzeichen sein. So hatte ihr Einbruch wenigstens einen Sinn.
    »Schon hart, oder?«, fragte er Klaus, der zu ihm auf den Balkon gekommen war.
    »So leben sie halt, die Alten«, sagte der. »Kann ja nicht jeder Champagner schlürfend in einer Villa vergammeln, oder? Vielleicht ist Frau Ella gerade deshalb einzigartig.«
    »Trotzdem, ich wäre ihr lieber in einem Holzhaus in Tennessee begegnet. In einem Schaukelstuhl auf der Veranda.«
    »Tja, dagegen hat’s die Wirklichkeit natürlich nicht leicht. Aber komm jetzt, so oder so müssen wir sie langsam mal finden.«
    Zurück im Hof der Wohnsiedlung, entdeckte Sascha den Blumenhändler. Der Laden war nicht zu übersehen. Das einzige Geschäft, das sich überhaupt noch zu halten schien in dieser verlassenen Gegend, im Erdgeschoss eines dieser Monstren, in die man zog, um zu sterben oder um nie mit dem Leben anzufangen. Nur Blumen schienen die Menschen trotz allem noch zu kaufen. Und was für Blumen! Inmitten des eintönigen Graus lag da diese knallbunte Oase, unwirklich, eine Halluzination. Und auch der Händler wirkte wie aus einer anderen Welt, mit seinem breiten Grinsen, seiner sanften Höflichkeit.
    »Frau Ella?«, fragte der junge Araber skeptisch.
    »Die Alte mit dem Auge«, sagte Klaus.
    »Ach die! Natürlich! Sie ist im Krankenhaus. Ich hoffe, nicht zu lange, wegen der Blumen.«
    »Die hab ich eben gegossen.«
    »Dann ist ja alles gut. Sind Sie ihr Enkel?«
    »Na ja«, murmelte Sascha. »So ungefähr. Das ist eine lange Geschichte.«
    »Ich dachte schon, sie wäre ganz alleine. Aber warum suchen Sie sie denn?«
    »Das ist noch so ’ne Geschichte«, sagte Klaus schnell und drückte dem Händler seine Karte in die Hand. »Die erzählen wir ein andermal. Rufen Sie mich an, wenn Sie Frau Ella sehen?«
    »Natürlich. Und passen Sie auf, dass ihr nichts passiert!«
    »Drücken Sie ihr die Daumen«, rief Klaus, schon wieder unterwegs in Richtung Auto.

    »Mann, Klaus, das hat doch alles so was von überhaupt keinen Sinn«, sagte Sascha, nachdem sie schon wieder eine halbe Ewigkeit durch die Straßen gekurvt waren, bei jedem grauen Kopf kurz aufgeschaut hatten, obwohl sie längst wussten, dass sie Frau Ella nicht mehr finden würden.
    »Ich hätte Lina nie an unseren Tisch holen sollen«, sagte Klaus. »Mann, wenn ich das geahnt hätte.«
    »Ach Scheiße, hier geht’s gar nicht darum, wer was falsch gemacht hat. Das ist einfach ein Scheißleben in einer Scheißwelt. Nicht nur sinnlos, sondern auch noch grausam.«
    »Das kann einfach nicht sein«, sagte Klaus und haute aufs Lenkrad. »Das kann nicht sein. Ich meine, unsere Großeltern haben mal eben ein ganzes Land aufgebaut, und wir schaffen es noch nicht einmal, uns eine Woche um eine alte Frau zu kümmern. Weißt du was? Das glaub ich einfach nicht! So schlecht können wir nicht sein. Das ist verdammt noch mal nicht normal! Das kann ich nicht mal denken.«
    »Das waren andere Zeiten.«
    »Trotzdem.«
    »Und? Was machen wir jetzt? Doch zu den Bullen?«
    »Hör bloß auf. Wir müssen einfach noch mal nachdenken. Wir brauchen einen Plan. Das kann doch nicht so schwierig sein!«
    Wäre das Ganze
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