Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Fraeulein Stark

Titel: Fraeulein Stark
Autoren: Thomas Huerlimann
Vom Netzwerk:
bekommt die Pantoffeln, rutscht über die Schwelle, schlarpt ins Innere -und damit ist meine Aufgabe genannt: Ich hatte an jede Besucherin, jeden Besucher die passenden Schutzpantoffeln auszuteilen: klein, mittel, weit. Ich durfte keinen Schuh ohne Filzummantelung passieren lassen, ich mußte dafür sorgen, daß man nur mit Finken, wie bei uns die Pantoffeln heißen, über die Schwelle, in den Barocksaal und zu den Büchern schwebte. Die nächste bitte!
    Sicher, ich trug eine hohe Verantwortung, denn der Geigenholzboden mit seinen Intarsien galt als derart wertvoll, daß schon die winzigste Schädigung, beispielsweise ein Hüflein, vom Spitzenabsatz eines Stöckelschuhs in das hautweiche Kirschholz gedrückt, beim Onkel und seinen Hilfsbibliothekaren ein entsetztes Aufjaulen aus-gelöst hätte, aber vor Probleme wurde ich kaum gestellt, unsere Besucher waren anständig, die meisten gebildet und stießen ihre Schuhkappen folgsam in die Filzhauben hinein. Ich war, wie der Onkel sagte, der Pantoffelministrant am Portal zur Bücherkirche. Ich konzentrierte mich von neun Uhr vormittags bis sechs Uhr abends -mit einer Stunde Mittagspause -auf Beine und Füße, ließ sie kommen, hielt sie an -danke, mein Junge!, die nächste bitte! -, und hatten sie die Ausstellung, wie viele von ihnen sagten, »gemacht«, stellte ich die abgeschüttelten Paare in meine sauber geordneten Reihen zurück. An Bord der Bücherarche, sagte der Onkel, sei die Vernunft, also die Ordnung, das oberste Prinzip.
    6
    Es war ein Abend im Juli. Der Onkel trug die seidene Sommersoutane aus der Römer Exklusiv-Boutique und die Stark ihr Alpendécor, Kordhose und kariertes Hemd. Wie gewohnt thronte der Onkel im Prälatensessel am Kopfende der Tafel, hatte die Serviette über die Brust gelegt und tupfte sich, während er die Askese pries, mit einem kölnischwasserbesprenkelten Damasttüchlein die Stirn ab. Ich saß an der Längsseite, allerdings unten, zwei Stühle von Monsignore entfernt, mit dem Rücken zur offenen Küchentür, und spielte den neunmalklugen Schüler. Hob der Onkel seine Augenbraue, stets die linke, versuchte auch ich, von den Wellen auf seiner Denkerstirn beeindruckt, meine Braue, stets die linke, zucken zu lassen. Nunu, sagte der Onkel, diese Schwüle!
    Das Fräulein aß wie üblich nebenan, und mit jedem Löffel, den sie drüben in sich hineinschlürfte, schien es im hohen Eßzimmer etwas zwielichtiger zu werden, lauter tickte die Wanduhr, und die ausgezehrten Gesichter der Fürstäbte und Stiftsbibliothekare, die mir gegenüber an der Wand hingen, zogen sich mehr und mehr in eine schwarz glänzende Firnis zurück.
    Der Onkel sah auf.
    In der Tür stand die Stark.
    Die Pantoffeln, sagte sie, sind nichts für den Buben.
    Wir ließen die Löffel sinken.
    Ist ihm ein Lapsus unterlaufen;, fragte der Onkel.
    Nein, meinte die Stark, er macht seine Sache gut (kurze Pause)
    vielleicht ein bißchen zu gut!
    Merken Sie nicht, was Sie für einen Blödsinn daherreden;
    Nein, sagte sie.
    Worum geht’s?
    Um sein Seelenheil. Um das, was im Katechismus steht.
    Eine Weile verharrte das Fräulein in der Tür, die Arme verschränkt, die Lippen schmal, die Augen auch.
    Der Onkel hob die linke Augenbraue, und ich, von ihm angeblickt, hob bedauernd die Schultern. Da packte das Fräulein mit ihren kräftigen Händen zu, schwang die Schüssel vom Tisch und trug sie, ohne den Blick von der Schüssel zu lösen, in die Küche. Die nahe Turmuhr schlug die Viertelstunde, der Abendhimmel begann zu glühen. Der Onkel und ich hielten den Atem an, beide spürten wir: Da kommt noch was! Und wirklich, schon stand sie wieder da, lächelte ihr Madonnenlächeln und sagte: Ihr Neffe, Monsignore, versündigt sich gegen das Sechste!
    Wie bitte ?
    Unkeusche Blicke.
    Der Onkel schüttelte grinsend, offensichtlich ein wenig verwirrt, das schweißglänzende Haupt. Dann faßte er sich. Er legte seine Hände auf den Tisch, links und rechts vom Suppenteller, drückte sich gegen die Rückenlehne seines thronartigen Sessels und sagte, den Blick zur Decke gerichtet: Fräulein Stark, ich erinnere mich nicht, die Klingel gedrückt zu haben.
    Sie nickte. Den Buben, hab ich mir gedacht, versetzen wir zu den Hilfsbibliothekaren.
    Liebe, wer ist der Chef?
    Sie, antwortete sie schlau, haben die Bücher unter sich, ich muß zum Buben schauen.
    Mein Neffe bleibt, wo er ist.
    Im Scriptorium.
    Nein, sagte er.
    Doch, sagte sie.
    Fräulein Stark, hic est nepos pracfecti, das ist der Neffe des
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher