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Fräulein Jacobs funktioniert nicht: Als ich aufhörte, gut zu sein (German Edition)

Fräulein Jacobs funktioniert nicht: Als ich aufhörte, gut zu sein (German Edition)

Titel: Fräulein Jacobs funktioniert nicht: Als ich aufhörte, gut zu sein (German Edition)
Autoren: Louise Jacobs
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auf, mich in der ehrgeizigen Damen-Clique zu profilieren. Ich verursachte einen Autounfall mit dem Auto meiner Gastmutter, ich las, starrte nachts aus meinem Fenster in den blau erleuchteten Hinterhof und versuchte die immer wiederkehrenden Erinnerungen an Littenheid, an Silvia, Kurt und Anna zu verarbeiten, indem ich sie skizzenartig aufschrieb. Es blieben Skizzen.
    Aber es gab auch schöne Momente in dieser Zeit: zum Beispiel die Lektüre von Effi Briest, Aus dem Leben eines Taugenichts und die Auseinandersetzung mit Kleist und Schopenhauer. Mein Deutschlehrer war ein lieber Kerl, und er ließ mich reden.
    Auch im Schwimmen wurde ich gut benotet. Wie früher in der Grundschule war es das einzige Fach, in dem ich eine Eins plus bekam.

    Berlin schickte mich durch eine harte Schule, in der ich lernte, ohne es zu wollen. Aber es tat mir gut. Ich hatte Freundschaft geschlossen mit Marina, einer Studienfreundin meiner Schwester, die gerade im zweiten Jahr ihrer umfangreichen und sechs Jahre dauernden Promotion stand. Da sie fast täglich in der Staatsbibliothek arbeitete und recherchierte, erhielt sie von anderen Studenten immer die neuesten Informationen über Partys und angesagte Clubs. Freitag und Samstag waren wir eigentlich immer unterwegs. Manchmal war ich Donnerstag, Freitag, Samstag und Sonntag unterwegs. Die Großstadt bot mir unendliche Ablenkungsmöglichkeiten von meiner innerlichen Einsamkeit. Ich versuchte im Ausgehen und Feiern, im »Spaß haben« zu vergessen, dass ich diese Schulzeit einfach nur hasste. Ich zwang mich förmlich dazu, Leute kennenzulernen und »immer« etwas zu erleben. Ich trank, ich tanzte auf den Tischen, ich stand nachts um drei schlotternd auf dem S-Bahnhof, ich ging alleine mit meinem Notizbuch in Bars und beobachtete die Menschen.
    Bald zog ich aus dem Gästezimmer in der Schlüterstraße aus und bezog in der Goethestraße die Wohnung eines Bekannten, der sechs Monate nach Mexiko zu VW ging.

    Nach einem grausam kalten Winter folgte der Frühling, und es kam der April. Ich verliebte mich zum ersten Mal richtig heftig.
    Er hieß Pano und kam aus Kreta, sah aber aus wie ein Norditaliener. Er war kleiner als ich, hatte längere Haare als ich, dunkle, dicke Augenbrauen und eine tiefe Stimme. Unter den Kieferknochen roch er herb, er rauchte, und er zerzauste mir das Haar. Ich sah ihn auf einer dieser Partys. Er stand alleine an einem Tisch und trank Bier. Ich fand, dass er genauso wenig hierherpasste wie ich, und sprach ihn darauf an.
    Wir kamen ins Gespräch, und um halb drei Uhr bot er mir an, mich nach Hause zu fahren. Sofort willigte ich ein. Marina war entsetzt: »Du kannst dich doch nicht von einem wildfremden, zehn Jahre älteren Mann nachts durch Berlin fahren lassen«, zischte sie mir ins Ohr. Ich hörte nicht hin.
    Pano und ich kurvten in einem dunkelblauen alten Golf nach Moabit, wo wir in einem winzigen Laden Falafel in Fladenbrot aßen und er mir erzählte, dass er Architekt sei. Danach kehrten wir für einen Absacker in eine Bar in Mitte ein und saßen dort bis halb sechs Uhr morgens. Als der Sonntag schon längst begonnen hatte, setzte er mich vor meiner Haustür ab und küsste mich.
    Wir trafen uns in den kommenden Wochen nach meinem Schulschluss im Aquarium, sahen uns die Fische an und hielten uns im Arm. Wir aßen gemeinsam zu Mittag, wir telefonierten und redeten bis in die Nacht. Er lud mich zum Essen ein und bezahlte mein Glas Wein, er lachte mit mir – und er ließ mich warten. Jeden Tag wartete ich auf seinen Anruf, eine Nachricht von ihm, ich hoffte, betete, dachte an jede Pore in seinem Gesicht, jede Narbe, jede Falte in seiner braunen Haut. Ich sang, schwieg, seufzte, träumte, klammerte und blinzelte, wenn ich an Pano dachte. Lust war ein Gefühl, das für meinen Körper und mich völlig neu war. Ich war voller Hingabe und fast so weit, die Kontrolle aufzugeben! Seit zwei Jahren schleppte ich den Zwang mit mir rum, nun glaubte ich, Pano könne mich davon befreien. Er verlieh mir Schmetterlinge im Bauch, ließ mich einfach still vor mich hin schmunzeln. Verlassen, heimatlos war ich – er nannte mich ein enfant terrible, was mir irgendwie gut gefiel –, doch in seinen Armen fielen all meine Laster von mir ab, all die schweren Gedanken wurden tragbar, und ich konnte mir nicht erklären, wie ich es auf dieser Welt ohne ihn ausgehalten hatte. Er verwandelte mich das erste Mal in meinem Leben in eine Frau. Alles wollte ich von ihm. Er war meine Rettung. Ich
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