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Flugasche

Flugasche

Titel: Flugasche
Autoren: Monika Maron
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wollte. Aber der unbestimmte Verdacht, ihre Gefühle könnten ihn erschrecken, hatte sie zurückgehalten. Josefa erinnerte den Geruch des Hammelfleischs, auf dem sie lustlos herumgekaut hatte, sie roch die kühle, süßliche Luft jenes Abends, fühlte noch einmal ihre müde Einsamkeit. Wußte nicht, warum sie nicht an diesem Abend schon verstanden hatte, warum er ihr erst einige Tage später diesen Satz hatte sagen müssen: Entscheide nur für dich. Rechne nicht mit mir.
    Auch nach dem Essen stellte Christian ihr die erwartete Frage nicht. Sie sahen einen albernen Western, den Josefa schon kannte, es aber nicht sagte, weil sie fürchtete, auch Christian könnte ihn schon gesehen haben. Dann müßten sie den Apparat ausschalten und miteinander reden. Oder, was noch schlimmer wäre, schweigen. Josefa war froh, nichts gefragt zu werden. Trotzdem ärgerte sie Christians Desinteresse. Seinetwegen stand sie beim Fleischer an, rieb Kartoffeln, kochte. Seinetwegen ermordete sie Tage, vergiftete sie hinterhältig mit kleinen weißen Tabletten, und er tat, als ginge es ihn nichts an. Hin und wieder spürte sie, daß er sie beobachtete. Aber sobald sie sich zu ihm umdrehte, sah er wieder geradeaus in den Fernsehapparat. Dann endlich: sentimental-heroische Musik. Der Sheriff lacht. Der Hilfssheriff putzt seinen Sheriffstern verlegen und stolz mit dem Ärmel blank. The End. Josefa drückte auf Aus, zündete sich noch eine Zigarette an, stand am Fenster, lange.
    »Ich kenne einen Psychiater«, sagte Christian.
    Josefa drehte sich langsam um und sah Christian verständnislos an. »Ja und?«
    Christian nahm die Brille ab, rieb sich die Augen, suchte Josefa mit halbblindem Blick. »Der könnte dir vielleicht helfen«, sagte er. »Mit diesen Dingen ist nicht zu spaßen, Josefa. Ich habe vorhin im Küchenschrank die leeren Packungen gefunden.« Christian schwieg, klappte die Bügel der Brille auseinander und wieder zusammen. Josefa stand vor dem offenen Fenster, gerade und steif, starrte ungläubig auf Christians Mund.
    »Das kann doch jedem passieren«, sagte Christian, »aber man muß rechtzeitig etwas unternehmen. Du bist jetzt kaputt, ist ja auch kein Wunder nach dem ganzen Theater. Wenn du nicht allein rauskommst aus deinem Dilemma, mußt du dir eben helfen lassen. Der kann dir sicher helfen.«
    »Du kannst mir helfen«, sagte Josefa, »ich brauche keinen Psychiater, von dem ich eines Tages wiederkomme wie Jauer mit dicken roten Backen und stumpfen Augen, einfach auf ein anderes Maß eingestellt, langsamer oder schneller wie ein Wecker. Was soll so einer mir helfen. Kann der Strutzers verjagen oder Kraftwerke baun, oder kann er machen, daß du öfter hier bist? Er kann nur machen, daß ich von alldem nichts mehr merke. Größter Erfolg so einer Therapie: ich finde Strutzer reizend, B. eine Stadt wie jede andere, ich höre auf, dich zu lieben, weil ich überhaupt nicht mehr lieben kann, werde dich demzufolge auch nicht mehr vermissen. Ich bin geheilt. Der Rickertsche Staubsauger stört mich auch nicht mehr, weil ich halb taub bin, stumpf auf allen Sinnen. Ich rege mich nicht mehr auf, heule nicht mehr, finde dafür runtergelassene Hosen schrecklich komisch und kann nachts ruhig schlafen. Lernen Sie, die Welt zu nehmen, wie sie ist; finden Sie sich ab; ruhen Sie in sich selbst. Und zum Schluß bin ich ein glücklicher Mensch, weil ich blöd geworden bin. Warum sind wir dann nicht gleich auf den Bäumen geblieben, glückliche Affen ohne zivilisatorische Schäden? Neben der Atombombe sind die Psychiater die gräßlichste und durchtriebenste Bedrohung für die Menschheit.« Josefa sprach laut. Christian schloß das Fenster, versuchte Josefa zu umarmen. »Bitte reg dich nicht so auf, du hast mich mißverstanden.«
    Josefa schob Christians Arm mit einer groben Bewegung von ihrer Schulter. »Hast du gesagt: geh zum Psychiater, oder nicht? Warum auch nicht? Sogar die Kinder brauchen ja inzwischen Psychiater. Weil sie nicht acht Stunden am Tag stillsitzen können, weil ihre Eltern tagelang in die Röhre glotzen und nicht mit ihnen sprechen außer: wasch dich, geh ins Bett, sei nicht so laut. Und wenn die Kinder eines Tages Tobsuchtsanfälle und Heulkrämpfe kriegen, schickt man sie zum Psychiater, oder zum Psychologen, zu irgendeinem, der mit Psy- anfängt. Der stellt die zappelnden Beine schon irgendwie ab und legt den Kopf voller Fragen schon irgendwie lahm.«
    Christian gab es auf, Josefa beruhigen zu wollen. Er setzte sich auf den
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