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Flucht ins Ungewisse

Flucht ins Ungewisse

Titel: Flucht ins Ungewisse
Autoren: S. R. Terrie
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unten. Und ich dürfte auch einen ziemlich unangenehmen Duft verströmt haben. Aber das war mir egal, als ich an unserer neuen Türschwelle stand. Ich hatte gerade einen Jungen mit … mit leuchtenden Augen gesehen. Da war es doch verdammt noch mal nicht so wichtig, wie man selbst aussah. Oder roch.
    Oder war bei mir einfach eine Schraube locker? Hatte der Aufprall etwas Wichtiges in meinem Kopf vernichtet? Mein Gehirn zum Beispiel? Aber vielleicht hatte ich es mir wirklich nur eingebildet. So ’ne Art Lichtreflexion von den Straßenlaternen oder so was. Ja, das muss es gewesen sein! Aber seit dem Zusammenstoß fühlte ich mich irgendwie seltsam. Auf eine Art und Weise, die man nicht wirklich beschreiben konnte. Einfach so … fremd. Als hätte ich ein paar Gläschen zu viel getrunken oder so.
    Da wir zurzeit nur zwei Schlüssel (einen für Dad und einen für Ms „Ach, ich bin so schön“) hatten, läutete ich und lauschte dem Getrampel, das zur Tür stürmte. Ich schluckte schwer und wappnete mich für das, was kommen würde.
    Die Tür wurde auf- und fast aus den Angeln gerissen.
    Vorsichtshalber machte ich einen Schritt zurück und sah Margret an, die mit einer Pfanne in der Hand vor mir stand. Wollte sie mich damit jetzt schlagen? Ich traute es ihr durchaus zu.
    Aber sie machte nicht den Eindruck danach. Ihr Haar war zerzaust und es sah doch tatsächlich so aus, als hätte sie geweint. Anstatt einer anständigen Klatsche begann die Pfanne in ihrer Hand zu zittern.
    „Wie kannst du nur einfach davonlaufen?“, fragte sie mich mit einem unterdrückten Schluchzer.
    Das hatte ich wirklich nicht erwartet. In der Vergangenheit – seitdem Mum tot war – war ich oft einfach ausgerissen, aber ich war immer wieder zurückgekommen. Spätestens, wenn ich Hunger bekam.
    „Ich brauchte nur etwas frische Luft“, sagte ich schulterzuckend und schlich an ihr vorbei ins Haus. Doch Dad, der vor mir aufragte wie ein Fels in der Brandung, versperrte mir den Weg.
    Er trug immer noch seine Arbeitskleidung, nur dass seine Krawatte wie eine Schleife um seinen Kragen hing.
    Seine Gesichtszüge wirkten überarbeitet und erschöpft. Seine Haare waren wie immer streng nach hinten gekämmt, jedoch lösten sich bereits unzählige dünne Strähnchen aus seiner Frisur. Die furchenähnlichen Falten unter seinen Augen würden wohl nie wieder verschwinden.
    Er meinte, Arbeit war das Einzige, das ihn ablenkte. Sonst würde er nie über Mums Tod hinwegkommen.
    Und da war es wieder einmal: mein schlechtes Gewissen.
    Ich ließ Schultern und Kopf hängen. „Tut mir leid, Dad! Es ist einfach …“ Ich sah zu ihm hoch und bearbeitete meine Handflächen mit den Fingernägeln. „Seit Mum nicht mehr da ist … Ich …“
    Er drückte mich fest an seine Brust und begann beruhigend über meinen Kopf zu streicheln, so wie er es seit Mums Tod fast regelmäßig machte. Und prompt spürte ich die ersten Tränen schon wieder.
    „Sie hat dir etwas Schreckliches angetan!“, sagte Dad leise. Er sagte nie: Es wird alles wieder gut. Denn das konnte es nicht werden. Und das war ihm durchaus bewusst.
    Er roch leicht nach Rauch und Schweiß. Ein vertrauter Geruch, den ich mein Leben lang nicht vergessen werde. Früher roch er auch noch nach Mums Parfum. Es war immer nur ein Hauch gewesen, aber genug, um zu wissen, dass sie da war. Und nun …
    Margret legte mir tröstend eine Hand auf die Schulter. Ich warf ihr einen bissigen Blick zu. Solange sie hier ist, wird überhaupt nichts gut werden!
    „Ich weiß“, erklärte mir mein Vater, als wir alle beim Abendessen saßen. „Es ist nicht leicht für dich. Seitdem Kathrin diesen … Anfall hatte, hat sich viel verändert.“
    Anfall … Ja, so bezeichnete er die Leichenverstümmelung meiner Mutter. Wenn das ein Anfall war, der in Selbstmord endete, dann hatte ich Hasenohren und Pelz am Rücken.
    „Aber es ist nun schon mehr als ein ganzes Jahr her!“
    Mir war schlecht.
    Er griff über den Tisch zu meiner Hand. Dankbar, dass ich den grässlichen Gemüseauflauf nicht mehr ansehen musste, hob ich den Kopf.
    „Es kann ein ganzes Millennium an mir vorbeiziehen“, sagte ich mit fester Stimme. „Ich werde sie immer vermissen!“
    Er ließ meine Hand los, sichtlich ermattet von diesem Gesprächsthema.
    Als sich sein Blick nicht von meiner Hand löste, sah ich auch hinunter. „Oh“, war alles, was ich zu meinem aufgekratzten Handrücken kommentierte. Wegen des ganzen Durcheinanders war mir der Schmerz noch gar
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