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Flucht aus Katmandu

Titel: Flucht aus Katmandu
Autoren: Kim Stanley Robinson
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der Stadt solche Schienen zu verlegen.
    Also liefen wir alle in den Tunnels hin und her, gruben mit Hacken, schaufelten Erde in die Loren und torkelten durch die Dunkelheit, während wir sie auf den neuen Gleisen hin und her schoben. Über uns hatten die Aushubarbeiten für die Kanalisation bereits begonnen, und sie würden in ein paar Tagen auf den ersten der alten Tunnels stoßen. Sie sperrten Nebenstraßen ab und buddelten sie mit indischen Maschinen auf, und da der schweizerische Ingenieur jeden Tag auf der Szene erschien, in die Löcher kletterte, das Arbeitsgerät überprüfte und die Arbeiter auf schlechtem Nepalesisch antrieb, machten sie bemerkenswert gute Fortschritte. Darunter hatten wir immer mehr zu tun und immer weniger Leute und Gerät, um die Arbeit zu bewältigen, obwohl Tag für Tag weitere Khampas aus den dunklen, nach Westen führenden Tunnels eintrafen. Aber Colonel John war dem Schweizer über uns mehr als nur gewachsen; er hatte sich wieder in seine vollständige Marine Corps-Kluft geworfen und schrie uns alle so laut an, daß ich überzeugt war, sie würden uns auf den Straßen hören. Und sie hätten uns bestimmt auch gehört, hätte nicht zufällig das ausgesprochen laute Dasain-Fest begonnen. Aber so hörten sie uns nicht, und wir machten weiter, wie die Sklaven angetrieben von der Peitsche des Colonels Zunge. »John Wayne trifft Ben-Hur«, murmelte Freds einmal, nachdem der Colonel explodiert war. »Nimm es nicht persönlich, er meint wirklich nicht, daß das alles deine Schuld ist.«
    »Warum hat er denn 'Das ist alles Ihre Schuld!' gesagt?« murrte ich. Es war nicht fair. Ich schüttelte den Kopf, schien ihn aber einfach nicht klar zu bekommen. Ich hatte jetzt den größten Teil mehrerer Tage unter der Erde verbracht, und jedesmal, wenn ich Yongtens Laden verließ, war draußen Nacht, und die Dasain-Feiern waren in vollem Gange, und Feuerwerke gingen am Himmel und über dem Boden hoch, und maskierte Alptraumgestalten wankten blindlings durch die Straßen, trinkend und im wechselnden Licht schreiend. Als ich ihnen und den Feuerwerken auswich, stellte sich bei mir der Eindruck ein, daß das Leben unter der Erde normaler war als auf der Oberfläche, und ich entschloß mich, während der Dauer des Festes einfach unten zu bleiben. Sarah und Nathan brachten uns die Mahlzeiten hinab, und wir aßen in der goldbeschlagenen Kammer, die nur ein kurzes Stück von einem unserer Einsatzorte entfernt war. Eine einzige Kerze konnte diese Kammer wie eine nackte 150-Watt-Birne erhellen. Wir schliefen in einer der bronzenen Kammern daneben, gönnten uns aber immer nur ein paar Stunden Ruhe.
    Das Auffüllen ging voran, obwohl es sich als schwierig erwies, die Erde bis zur Decke aufzuhäufen. Colonel John löste dieses Problem, indem er an einem Ende eine Mauer errichtete und dann die Erde daran hochschaufelte. Er war Feuer und Flamme und hatte sich in den Kopf gesetzt, den Hohlraum so zu füllen, wie er sich den Boden unter einer alten Stadt wie Katmandu vorstellte – mit Scherben alter Töpfe, morschen Holzbalken, einem verlorenen Silberlöffel, eine komplette archäologische Phantasie falscher Erdschichten und alter Funde, bis es so schlimm wurde, daß wir ihn dort hinauszerren mußten, damit die Khampas und Bahadims Kongreßpartei den Raum bis zur Decke auffüllen und dann an der anderen Seite zumauern konnten.
    Sie hatten kaum die Mauer hochgezogen, als wir ein leises Dröhnen vernahmen und die Tunnels um uns herum zu zittern begangen. Die erste Bewährungsprobe stand bevor: sie hatten unsere Neuauffüllung erreicht und gruben sich hindurch. Nathan lief immer wieder zur Straße hoch, um sich zu überzeugen, daß sie nicht von ihrem planmäßigen Kurs abwichen, doch ich war da ganz zuversichtlich; wären sie abgewichen, hätten sie sich unter Gebäuden durchgraben müssen. Die einzige Frage war, ob ich den Tunnel richtig vermessen hatte und wir auch wirklich das Stück unter der Straße aufgefüllt hatten. Ich befürchtete, daß sie geradewegs eine der neuen Mauern durchstoßen und so den gesamten Plan durchkreuzen würden. Was Colonel John dann zu mir sagen würde! Aber das taten sie nicht, zumindest nicht bei dieser Kreuzung.
    Die nächste war nur ein paar Blocks entfernt, und so konnten wir uns keine Ruhe gönnen. Und das war nicht nur ein Tunnel: es war eine der großen runden Kammern, und um ganz sicher zu gehen, mußten wir sie völlig auffüllen und gleichzeitig einen neuen Gang tief darunter
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