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Fluch der Hestande

Fluch der Hestande

Titel: Fluch der Hestande
Autoren: Hugh Walker
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Tränen, die in den Kelch fielen.
    Mythor war wach genug, daß er spürte, wie Raegeseders Träume ihn festzuhalten suchten, doch die Lockungen von Hestandes düsterem Garten überwogen und raubten ihm alle Ruhe.
    Mythor focht lange dagegen an, doch schließlich, als er es nicht mehr ertragen konnte, erhob er sich leise und machte sich auf den Weg in den Garten.
*
    Es war, als ob er heimkehrte.
    Er fühlte sich freier und glücklicher mit jedem Schritt, den er tat. Als er im Garten stand, hatte er alle Warnungen und Bedenken beiseite geschoben. Nur das Verlangen brannte in ihm, endlich diese Leere in seinem Kopf zu füllen – auch mit fremden Erinnerungen.
    Es war nicht leicht, sich im Dunkeln zurechtzufinden. Er konnte kaum die Hand vor den Augen sehen. Aber es gab keine Hindernisse, wenn man versuchte, sich in der Mitte der großen Halle zu halten. Dann war da ein Bogen vager Helligkeit, wo das Tor in den Garten führte. Der erste Schimmer der Morgendämmerung drang kalt über die hohen Mauern des Gartens. Er reichte aus, den überwucherten Weg zu erkennen und den Pavillon auszumachen. Die Sträucher und Blumen waren naß, doch nicht vom Morgentau, sondern vom ewigen Nebel, der die Welt in seinem bleichen Griff hielt. Raegeseders Traum kam unvermittelt in sein Bewußtsein, und große Sehnsucht erfüllte ihn nach der offenen, sonnigen Welt, an die der Baumgeist sich erinnerte.
    War so die Welt vor ALLUMEDDON gewesen?
    Die Lichtwelt?
    Und er hatte dafür gekämpft. Er war Mythor, ein Krieger, der für die Lichtwelt gekämpft hatte – wenn er Yornes Worte recht deutete. Er zweifelte nicht daran, denn so wie er deuteten auch die anderen sie, Fryll, Garnoth…
    Nun zweifelte er auch noch aus einem anderen Grund nicht daran. Für diese Lichtwelt in Raegeseders Träumen lohnte es sich zu kämpfen. Daß er es getan haben sollte, erschien ihm selbstverständlich. Er würde es wieder tun.
    Vielleicht war es noch immer nicht zu spät, für diesen Traum zu kämpfen – für Licht und Wärme und Leben!
    Er brauchte Wissen und Waffen und Gefährten, die wie er diesen Traum hatten. Er brauchte Magie, wo das Schwert zu schwach war.
    Vielleicht gab ihm Hestande, was er suchte. Die Aegyr besaßen zumindest das Wissen aus der Zeit vor ALLUMEDDON, wenn sie auch nicht Macht genug besessen hatten, der hereinbrechenden Finsternis zu widerstehen.
    Er war völlig frei von Furcht, aber voller Erwartung, als er die Stufen hinaufstieg und der in fast völliger Dunkelheit stehenden Statue Hestandes gegenübertrat. Er hatte die Toten vergessen, die den Weg zu ihr säumten, und sah sie nicht in der Dunkelheit.
    Er hatte nur Augen für die schwarze Silhouette. Er griff nach den kalten Händen, die den Kelch hielten. Seine Finger tasteten über das feinziselierte Silber, fühlten die Erschütterungen durch die herabfallenden Tränen. Er hörte das leise Platschen der Tropfen, die zu einem steten Rinnsal wurden. Er wartete mit angehaltenem Atem.
    Es währte nicht lange, dann versiegten die Tränen.
    Mythor zögerte nicht.
    Er faßte den Kelch mit beiden Händen und konnte ihn ohne Mühe aus den steinernen Fingern nehmen.
    Es roch nach Blüten ringsum, aber die Flüssigkeit besaß keinen eigenen Geruch. Vorsichtig hielt er ihn an die Lippen und nahm einen kleinen Schluck.
    Es schmeckte kühl und frisch wie das Wasser einer Quelle.
    Er schluckte es, und nichts geschah.
    Es ist nur Wasser, dachte er enttäuscht. Kein salziger Geschmack von Tränen. Es war nur eine Quelle, an der die Aegyr sich bei ihren Festen erfrischt hatten und der sie eine vollendete Fassung gegeben hatten.
    Er leerte den Kelch, um die Enttäuschung hinunterzuspülen.
    Er hörte Schritte auf den Stufen hinter sich und wandte sich um.
    Fryll sah mit großen Augen auf den Kelch in Mythors Hand.
    »Du hast es getrunken?«
    »Ja, das habe ich, kleiner Freund. Aber es ist nur Wasser. Hier, trink!«
    Aber der Schrat wich zurück. Seine Augen weiteten sich vor Schrecken.

10.
    Die Wirklichkeit entglitt Mythor unvermittelt.
    Da waren plötzlich nicht nur die rädergroßen Augen des Schrats, da wuchs Hestandes Statue wie ein Berg empor in schwindelerregende Höhen. Ihre Steinaugen waren Seen, aus denen blutrote Kaskaden herabkamen; da wurde der Efeu zu baumdicken Ranken; da waren riesige weiße Kelche, deren Duft ihn fast betäubte; zwischen ihnen Ilfas Gestalt, nackt, wie er sie zuletzt gesehen hatte. Sie lächelte, aber sie war weiß und kalt und starr wie Stein. Da waren Wunden an
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