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Fleischeslust - Erzaehlungen

Fleischeslust - Erzaehlungen

Titel: Fleischeslust - Erzaehlungen
Autoren: T. C. Boyle
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gar nichts. Hob nur kurz den Kopf, um den Horizont abzusuchen, ehe sie wieder auf Messer und Hackbrett hinuntersah und Frühlingszwiebeln und Koriander kleinschnitt.
    Er beobachtete sie immer noch. Er saß auf ihrem großen Doppelbett, einem der wenigen leiblichen Genüsse, die die Forstbehörde einem hier oben bot. Es hatte natürlich keine Kopfstütze – es war nur eine große, flache, recht harte Matratze, die auf Fensterhöhe mit der gläsernen Wand abschloß, so daß man auch im Bett liegend seine Arbeit tun konnte. Wahrscheinlich war es ursprünglich für Paare gedacht. Als er wieder den Mund aufmachte, wußte sie, was er sagen würde, ehe die Worte heraus waren. »Schönes Bett«, sagte er.
    Was hatte sie erwartet? Er war nicht anders als die anderen – warum auch? Urplötzlich fiel er ihr auf die Nerven, und als sie ihm jetzt wieder das Gesicht zuwandte, war ihre Stimme eiskalt. »Haben Sie schon durch das Fernrohr gesehen?« fragte sie und deutete dabei auf das Bushnell-Teleskop, das am Geländer des Laufstegs montiert war – jenseits des Fensters, vor der Tür.
    Er ignorierte die Aufforderung. Er erhob sich. Sechzehn Quadratmeter: für zwei zuwenig. »Ihnen muß es ja schrecklich einsam werden hier«, sagte er, und auch seine Stimme klang jetzt verändert, die gespielte Lockerheit und Jovialität waren verschwunden, »eine hübsche Frau wie Sie. Eine schöne Frau. Ihre Beine sind echt sexy, wissen Sie?«
    Sie wurde rot – er konnte es sehen, da war sie sicher –, und das machte sie wütend. Sie wollte ihn gerade hinauswerfen, wollte ihm sagen, er solle ihr Haus verlassen und nicht mehr wiederkommen, verdammt noch mal, als Todd die Stufen heraufpolterte, ganz aufgeregt und gehetzt. »Mom!« rief er atemlos, und seine Stimme klang schrill und heiser. »Da draußen tropft überall Wasser raus!«
    Wasser. Es dauerte eine Weile, bis sie begriff. Wasser war wertvoll hier oben, ja unersetzlich. Einmal im Monat brachten ihr zwei bärtige Männer mit Ärmelaufnähern der Forstbehörde sechs Fünfundsiebzig-Liter-Kanister herauf – so wie früher, auf Mulis. Sie ging mit diesem Wasser so haushälterisch um, als lebten sie mitten im Negev, sparte jeden Tropfen und gestattete sich nur selten den Luxus einer kurzen Haarwäsche mit Spülung, so wie an diesem Morgen. Im nächsten Moment stürzte sie zur Tür hinaus und hastete ihrem Sohn hinterher die Stufen hinab. Unten, vor dem Lagerraum, in dem die Kanister ordentlich aufeinandergestapelt standen, sah sie sofort, daß auf dem Fels eine dünne Wasserschicht glänzte. Sie bückte sich zu dem vordersten Kanister. Aus einem feinen Spannungsriß im milchigweißen Plastik, etwa drei Zentimeter über dem Boden, leckte das Wasser. »Los, faß mit an, Todd«, sagte sie. »Wir müssen ihn umdrehen, so daß das Loch oben ist.«
    Voll wog ein Kanister knapp achtzig Kilo, und dieser war fast voll. Sie legte ihr ganzes Gewicht hinein, alle Kraft ihrer trainierten, muskulösen Beine, schaffte es aber auch mit Todds Hilfe nur, das Ding auf die Seite zu drehen. Sie atmete schwer und schwitzte, hatte sich irgendwo das Bein aufgeschrammt, so daß die Haut über der Kniescheibe von lauter Blutpünktchen gerötet war. In diesem Augenblick wurde ihr bewußt, daß der Fremde direkt hinter ihr stand. Sie blickte zu ihm auf, er wurde von der Weite des Himmels eingerahmt, hatte die Sonne im Gesicht, die großen Hände in die Hüfte gestemmt. »Kann ich Ihnen unter die Arme greifen?« fragte er.
    Im nachhinein wußte sie nicht, weshalb sie das Angebot ausgeschlagen hatte – vielleicht weil Todd den Mann so ehrfürchtig anglotzte, weil in seinem Tonfall das bekannte So-hübsch-und-ganz-allein-hier-oben-Klischee mitschwang oder weil sie das Bild der hilflosen Frau einfach haßte –, doch ehe sie lange überlegen konnte, erwiderte sie: »Ich brauche Ihre Hilfe nicht; ich schaffe es schon selbst.«
    Und dann sanken seine Hände von den Hüften herab, er trat einen Schritt zurück, und auf einmal entschuldigte er sich, wurde sanft und witzig und charmant, und es tue ihm leid, daß er ihr zu nahe getreten sei, und er wolle ja nur helfen, und er wisse sehr wohl, daß sie es auch allein schaffte, andeuten wolle er gar nichts – und ebenso abrupt verstummte er, ließ die Schultern hängen und verschwand ohne ein weiteres Wort die Stufen hinunter.
    Lange sah sie ihm nach, wie er auf dem Pfad immer kleiner wurde, erst dann wandte sie sich wieder dem Wasserkanister zu. Bis sie ihn endlich gemeinsam
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