Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Flashback

Titel: Flashback
Autoren: Dan Simmons
Vom Netzwerk:
lokalen Bürgerwehren beschützten die Kids, die noch so blöd waren, den Schulweg zu Fuß zurückzulegen, und sogar die bescheuerten Lehrer mussten Waffen tragen und am Schießplatz des Los Angeles Police Department in der alten Abfüllanlage von Coca Cola hinter der Central Avenue regelmäßig mit der Knarre üben.
    Plötzlich stand Coyne auf, machte den Reißverschluss auf und fing an, in hohem Bogen sechs Stockwerke tief auf den unkrautüberwucherten Highway zu pissen. Das setzte eine Pinkelorgie in Gang. Monk, Toohey, Cruncher und Dinjin folgten dem Beispiel ihres Anführers als Erste, dann Sully und Gene D., zuletzt auch Val. Er musste nicht pinkeln, aber nach langen Flashbacksitzungen hatte man oft den Drang dazu, und er wollte nicht zu erkennen geben, dass er nur für ein paar Minuten abgetaucht war, während die anderen über eine Stunde auf ihren Vergewaltigungsspaß geflasht hatten. Val zog den Reißverschluss auf und schloss sich der Pissbrigade an.
    »Hey, stopp !«, rief Coyne, bevor die Jüngeren und Val fertig waren.
    Ein Dröhnen hallte durch die Betonschlucht der 101. Es war schwer, das Pinkeln zu unterbrechen, nachdem man damit angefangen hatte, aber Val schaffte es. Plötzlich röhrte unter ihnen ein Dutzend Harleys. Die Tattoos und Muskeln der Fahrer quollen aus dem schwarzen Leder, das lange schwarze oder graue Haar wehte in der Luft.
    »Die verbrennen echtes Scheißbenzin !«, kreischte Gene D.
    Ohne nach oben zu schauen, rasten die Biker unten durch, obwohl die Jungs mit ihren in der Luft baumelnden Schniedeln gut sichtbar waren. Die Harleys donnerten mit ungefähr hundertdreißig Sachen dahin.

    »Scheiße, jetzt wär ich gern ein Stück weiter vorn an der Straße«, ächzte Sully.
    Sie wussten alle, was er meinte. Eineinhalb Kilometer weiter war beim großen Beben an einer Stelle, vor der keine Abfahrt mehr kam, ein vier Meter langes Stück der 101 abgestürzt. Durch den Spalt ging es zwanzig Meter tief hinab ins Dunkel – auf Betonblocks mit abstehenden Stahlstangen, auf das verbogene, rostige Metall alter Autowracks, und, wie die Jungs gehört hatten, auf zahllose Skelette von Bikern. Irgendwelche Harleyfahrer hatten vor Jahren eine breite Betonplatte als eine Art Schanze festgeklemmt, und die Biker mussten mit vollem Karacho und höchstens zu dritt nebeneinander auf diese Schanze zuschießen, um über den Spalt zu springen und die erste Öffnung in den Absperrungen zu erreichen, wo die 101 mit den Überresten des Pasadena Freeway zusammentraf. Val kannte die Stelle mit der Sprungschanze und wusste, dass an der Westkante des Spalts Blutschlieren, zerfetzter Gummi und bizarre Haufen von Chrom und Stahl klebten. Blöderweise machte die 101 hinter Alameda eine leichte Kurve nach Norden, so dass sie von ihrer Überführung aus den tödlichen Spalt nicht sehen konnten.
    Gierig blickten die Jungs den Bikern nach, die bereits ihre Formation änderten und sich in Position brachten. Der riesige, haarige Anführer mit roten Tätowierungen aus echtem Blut beschleunigte vorneweg um die Kurve, und als das mächtige, dem Tod trotzende Dröhnen anschwoll und verhallte, fühlte sich Val stärker erregt als beim Anblick seiner Kumpel, die die arme Handarbeit-Maria bearbeiteten.
    Coyne hing die Zigarette von der Unterlippe, als er Val mit leisem Lächeln in die Augen schaute. Offenbar bekam auch er einen Ständer. In solchen Momenten kam sich Val irgendwie schwul vor.
    Um seine Verlegenheit zu überspielen, spuckte er geräuschvoll über die Kante, machte den Reißverschluss zu und wandte den anderen
den Rücken zu. Das Röhren der Harleymotoren im Westen erreichte seinen Höhepunkt und nahm wieder ab.
    Coyne griff hinten unter sein T-Shirt und zog etwas aus dem Hosenbund.
    »Heilige Scheiße«, entfuhr es dem kleinen Dinjin. »Eine Knarre.«
    Alle sechs scharten sich um Coyne, der am Rand des taubenverdreckten Simses kauerte.
    »Eine Beretta M9, neun Millimeter«, flüsterte Coyne dem gedrängten Kreis von Köpfen zu. »Hier ist die Sicherung.« Er schob einen kleinen Hebel vor und zurück. Der rote Punkt bedeutete wohl, so vermutete Val, dass die Waffe entsichert war.
    »Hier der Magazinriegel … « Coyne drückte auf einen kleinen Knopf am Griff hinter dem Abzughahn. Das Magazin rutschte heraus, und Coyne fing es auf. »Vierzehn Patronen. Kann ohne Magazin einen zusätzlichen Schuss aus der Kammer abfeuern.«
    »Darf ich sie mal halten? Darf ich?«, hauchte Sully. »Bitte, ich möchte bloß … Dingsda
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher