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Flammen um Mitternacht

Flammen um Mitternacht

Titel: Flammen um Mitternacht
Autoren: Stefan Wolf
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keuchte.
Lichtschein aus einem Fenster streifte sein Gesicht. Es wirkte gehetzt, und ein
Ausdruck der Verzweiflung lag darauf.
    „Sie... sie
bringen meinen Freund um“, stammelte er. „Im Blauen Engel sind sie über ihn
hergefallen. Er soll was angestellt haben, was ich aber nicht glaube. Sie...
wollen ihn lynchen (jmd. ohne Gerichtsverhandlung bestrafen, zu Tode
prügeln). Ein Landsmann hat mich gerufen.“
    „Wer will
ihn lynchen?“ fragte Tom rasch.
    „Ich weiß
nicht genau. Deutsche...“
    „Wo ist der
Blaue Engel?“
    „In der
nächsten Straße.“
    „Ich komme
mit.“ Tom sprang vom Roller. Zu Locke sagte er: „Du, Herzi, hältst dich bitte
im Hintergrund. Daß nicht deine Locken was abkriegen, wenn der Pöbel sich
austobt.“
    Er und
Mustafa rannten voran. Locke folgte zu Fuß.
    Die nächste
Straße gehörte schon nicht mehr zum Türkenviertel. Aus dem BLAUEN ENGEL, einer
Stehbierkneipe vom billigsten Zuschnitt, ertönte vielstimmiges Grölen. Man
grölte auf deutsch — wie betrunkene Schlachtenbummler nach einem gewonnenen
Fußballmatch oder Störtrupps während einer Wahlkundgebung. Die Tonart ist immer
dieselbe.
    „Genaues
weiß ich auch nicht“, keuchte Mustafa, dem der Atem knapp war — mehr eine Folge
der Aufregung als des kurzen Laufs.
    Tom sah sich
nach Locke um. Sie sprintete jetzt auf ihren langen Beinen heran, fiel Tom in
die Arme und hauchte ihm ins Gesicht. Zu dritt betraten sie die Kneipe.
    Die Luft war
schwadig vom Tabakqualm und roch nach verschüttetem Bier. Vor der Theke
lümmelten Feierabendtypen herum, Deutsche. Alles — auch der triefäugige Wirt —
glotzte über leere Steh tische in die hintere Ecke.
    Ein Bild
menschlicher Niedertracht bot sich dort dar.
    Zwei
häßliche Kerle hatten einen jungen Türken gepackt. Er blutete aus Mund und Nase.
Ein Auge war geschwollen. Sein Kopf rollte hin und her, am Rande der Ohnmacht.
    Ein dritter
Deutscher — semmelblond und mit Pickelgesicht — wuchtete ihm soeben die Faust
vor den Magen. Dem Türken knickten die Knie ein. Hätten ihn die beiden nicht
gehalten, wäre er zu Boden gestürzt.
    Seitlich von
denen stand Petra Fiedler, das große Mädchen mit den brandroten Locken. Sie war
so bunt gekleidet wie gestern und preßte eine Hand ans linke Ohr. Die Hand war
voller Blut.
    Hysterie (seelischer
Krankheitszustand) verzerrte ihr Gesicht, in dem die Dummheit jetzt weniger
auffiel — Haß und Wut überwogen.
    „Bringt ihn
um!“ schrie sie. „Schlagt das Schwein tot.“ Sie geiferte und hatte sich die
Mundwinkel bekleckert.

    Und noch
jemand war da: das Gespann, das Locke und Tom vom Sehen bereits kannten,
nämlich der Bully mit der Mütze und der andere mit dem hängenden Lid.
    Der letztere
genoß, was sich hier abspielte. Mehr noch: Er sorgte dafür, daß die Mißhandlung
nicht das Ende der Vorstellung war.
    „...müssen
wir diesen Kanaken ein für alle mal zeigen“, brüllte er soeben, „daß sie von
unseren Frauen und Mädchen gefälligst die Hände lassen. Dieser Dreckskerl ist
doch nicht wert, daß er lebt. Freunde! Draußen auf dem Hof steht ein
Benzinkanister. Duscht ihn damit. Dann wird er wieder munter. Und... äh...“, er
grinste, „seid vorsichtig, wenn ihr euch eine Zigarette anzündet. Wie leicht
passiert es, und dieser Türkenhund steht in Flammen.“
    „Soll er
doch!“ — „Mach ihn zur Fackel!“
    „Heiz ihm
ein!“ — „Energiesparer nehmen Türken statt Öl!“ — „Selbstverbrennungen muß man
nachhelfen!“
    Das brüllten
die Feierabendtypen an der Theke. Einer überbot den andern. Der Pöbel war los.
Der Haß gegen Ausländer trieb dem Höhepunkt zu. Es war unfaßlich. Keiner schien
zu bedenken, daß es Mord war, was sie wollten. Oder es war ihnen wurscht.
    „Mein Gott!“
flüsterte Locke. „Sind das Menschen oder Bestien?“
    Mustafas
Gesicht war totenbleich. Die Angst des unschuldig Verfolgten flackerte in
seinen Augen. Aber er wollte seinem Freund zu Hilfe eilen und hob schon den
Fuß. Tom hielt ihn zurück.
    „Überlaß mir
das!“
    Die drei
Schläger hatten sich in Bewegung gesetzt. Der Tip des Honold-Ganoven kurbelte
sie an. Alle niedrigen Instinkte kamen voll auf ihre Kosten. Sie schleppten ihr
Opfer zur Hintertür. Mustafas Freund war zerschunden und wehrlos. Schwach rief
er um Hilfe — nicht lauter als ein wimmerndes Kind.
    „Sie wollen
Üsküd verbrennen... sie wollen... nein!“ Mustafas Stimme versagte.
    Tom war
bereits unterwegs, rannte dem Hinrichtungskommando nach und wußte,
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