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Fix und forty: Roman (German Edition)

Fix und forty: Roman (German Edition)

Titel: Fix und forty: Roman (German Edition)
Autoren: Rhoda Janzen
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gerade. In diesem Moment! Oder: Ich esse und piesele gleichzeitig . Frei nach dem Song von Helen Reddy: Ich bin Frau, hört mich pieseln! Beziehungsweise, hört, wie ich den Urinbeutel in die Plastikwanne entleere, die ich nicht tragen darf, weil sie zu schwer ist!
    Da lag ich nun und tat nichts, außer ununterbrochen zu pieseln. Statt den Verlust meiner Gebärmutter zu betrauern, schlief ich viel und las die New York Times , wozu mir im normalen Leben die Zeit fehlte. Mitten am Tag nach Belieben Zeitung zu lesen war Ferien nicht unähnlich – herrlich!, jubelten meine Loewen’schen Gene. Die neuen Ärzte hatten mir gesagt, es bestünde die Möglichkeit, dass ich dauerhaft inkontinent bliebe, ein Umstand, der mein Liebesleben ernsthaft beeinträchtigen würde, von meinem Fitnessprogramm ganz zu schweigen. Doch wie meine Mutter begann ich sofort, mir einzureden, dass Inkontinenz nicht das Ende der Welt bedeute. Es war zum Beispiel immer noch besser als eine Querschnittslähmung vom Hals abwärts. Ich hatte tolle Freunde, einen Mann und eine Katze. Großformatige Windelprodukte waren trotz ihrer Umweltschädlichkeit und einer Halbwertszeit von mehreren Jahrzehnten billig im Einkauf. Erst neulich hatte ich in einer Zeitschrift einen Coupon für Depend , dem Hersteller von Seniorenwindeln, gesehen.
    Wegen Nicks schwerer Kindheit machten wir uns beide Sorgen, wie er damit zurechtkäme, dass mein Genesungsprozess nun viel länger dauern würde, als wir zunächst gedacht hatten. Nicks Mutter litt seit Langem unter psychischen Problemen und hatte ihre Kinder über viele Jahre einem Phänomen ausgesetzt, das die Ärzte im neunzehnten Jahrhundert »Tyrannei des Wahns« nannten: Sie benutzte ihre vielen Beschwerden und Wehwehchen, um andere zu kontrollieren. Egal was im Leben ihrer Kinder passierte, es ging immer nur um Regina. Als Erwachsener distanzierte Nick sich von ihr. Er hasste den Topos der »gebrechlichen Frau« und sagte mir häufig, er wäre nicht mit mir zusammen, wenn ich eine dieser anhänglichen, labilen Frauen wäre.
    Während unserer seltenen Besuche bei Regina versuchte ich immer, sie abzulenken, indem ich sie auf ihre atemberaubende Schönheit ansprach. Und das war keineswegs geheuchelt. Selbst mit einundachtzig hatte Regina noch immer den Schmackes einer umwerfenden Italienerin. Sie war bildschön – von irgendwem musste Nick es ja haben – und sah fünfundzwanzig Jahre jünger aus, als sie in Wirklichkeit war. Gewöhnlich trug sie eine riesige glamouröse Perücke und Stretchhosen. Es machte mir nichts aus, sie immer wieder zu fragen, wie viele Männer ihr schon einen Heiratsantrag gemacht hatten. Das gehörte zu meinen ehelichen Pflichten.
    Es gibt eine Anekdote, die Reginas Charakter sehr treffend beschreibt. Vor zwölf Jahren, als Nick und ich arme Studenten waren, erhielten wir den Anruf, dass sein Vater einen schweren Schlaganfall erlitten hatte und in einem Krankenhaus in West Virginia im Sterben lag. Wir konnten uns den Flug nicht leisten, also sprangen wir ins Auto und fuhren zwölf Stunden nonstop von Chicago nach Fairfax. Wir tranken eimerweise Kaffee, fuhren so schnell, wie die Strecke es zuließ, und hofften die ganze Zeit inständig, dass Nicks Vater bei unserer Ankunft noch leben würde. Als wir schließlich im Krankenhaus waren, gingen wir nicht einmal erst aufs Klo; so schnell wir konnten, rannten wir nach oben und erreichten keuchend die Intensivstation. Da waren sie, Nicks Vater an der Schwelle zum Jenseits, die er noch nicht überschritten hatte, und Regina, ganz die schöne, verzweifelte Ehefrau.
    »Ihr Lieben!«, rief sie außer sich. »Wie sitzt mein Haar?«
    Regina als Mutter hätte jeden in den Wahnsinn getrieben. Würde Nick der Anblick einer kranken Frau dermaßen abstoßen, dass es ihm unmöglich wäre, mich gesund zu pflegen? Der Löwenanteil der Ekel-Arbeit würde auf ihn entfallen – Verbände wechseln, Katheter legen, meinen Urinbeutel in die Wanne entleeren und meinen Urin wie ein gutes altes Zimmermädchen entsorgen. »Ich gebe mein Bestes«, sagte er tapfer. »Aber das mit dem Urinbeutel ist echt beschissen.«
    Und dann überraschte Nick uns beide. Er entpuppte sich als Naturtalent am Krankenbett. Knackig, kompetent, fast jovial kam er in mein Krankenzimmer gesegelt, öffnete Fenster, schüttelte Kissen auf, säuberte Schläuche. Er brachte Kaffee und zauberte ausgefallene Sandwichkreationen. Manchmal, wenn ich aufwachte, stand vor mir ein Tablett mit Erdnüssen,
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