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Fitz der Weitseher 02 - Der Schattenbote

Titel: Fitz der Weitseher 02 - Der Schattenbote
Autoren: Robin Hobb
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an keinen einzigen mehr erinnern. Wandler. Mein eigener Wolf nannte mich so, wie auch der Narr oder Chade mich Catalyst - den Wandler - genannt hatten. Nun gut. Zeit, es war Zeit, für Edel einen Wandel herbeizuführen. Der letzte Trumpf, den ich noch ausspielen konnte, war zu sterben, bevor es Edel gelang, mich zu brechen. Wenn ich untergehen musste, dann allein; ich würde niemanden durch falsche Aussagen mit ins Verderben reißen. Ich hoffte, die
Herzöge würden darauf bestehen, dass man ihnen meinen Leichnam zeigte.
    Ich brauchte viel Zeit, um den Arm vom Boden hochzuheben und auf meine Brust zu legen. Meine Lippen waren aufgeplatzt und geschwollen, die Zähne locker. Ich führte die Ärmelmanschette an den Mund, spürte die kleine Wölbung des Blätterpäckchens zwischen den Stofflagen, biss so fest zu, wie ich konnte, und begann zu saugen. Der Geschmack des Carryme erfüllte meinen Mund. Es war nicht unangenehm, nur etwas scharf. Je mehr das Kraut die Schmerzen betäubte, desto kräftiger konnte ich an dem Stoff saugen. Lachhaft, aber ich war vor der Stachelschweinborste auf der Hut. Hätte mir gerade noch gefehlt, mich daran zu stechen.
    Es tut wirklich furchtbar weh.
    Ich weiß, Nachtauge.
    Komm zu mir.
    Ich versuche es. Hab noch einen Moment Geduld.
    Wie stellt man es an, sei nen Körper zu verlassen? Ich versuchte meine körperliche Hülle zu ig norieren und mich nur noch als Nachtauge wahrzunehmen. Seine feine Nase. Wie er auf der Seite lag und hingebungsvoll an einem Schneeklumpen kaute, der zwischen den Ballen der Pfote festsaß. Zwischen den Ballen meiner Pfote , denn ich schmeckte den Schnee und wie ich da ran knabberte und leckte. Ich hob den Kopf. Es wurde Abend. Bald kam die Stunde der Jagd. Ich stand auf und schüttelte mich.
    So ist es richtig, ermunterte mich Nachtauge.
    Aber da war im mer noch dieses dünne Band, das stö rende Wissen um mei nen steifen, schmerzverzerrten Körper auf ei nem kalten Steinboden. Schon der Gedanke verlieh ihm Substanz. Ein heftiger Krampf schüttelte diesen Körper durch, dass Kno chen und Zähne klapperten. Ein Anfall. Ein ziemlich heftiger dieses Mal.

    Plötzlich war alles so einfach, die einfachste Entscheidung der Welt. Ein Tausch: dieser Körper gegen jenen. Er leistete ohnehin keine guten Dienste mehr. Gefangen in ei nem Käfig. Ballast, weshalb sich damit abschleppen? Weshalb überhaupt ein Mensch sein wollen?
    Ich bin hier.
    Ich weiß. Lass uns jagen.
    Und das taten wir.

KAPITEL 33
    WOLFSTAGE
    D ie Übung, um sich auf den Mittelpunkt im eigenen Selbst zu konzentrieren, ist einfach. Man hört auf, daran zu denken, was man vorhat zu tun. Man hört auf, daran zu denken, was man gerade getan hat. Schließlich hört man auf, daran zu denken, dass man aufgehört hat, an diese Dinge zu denken. Ist dieser letzte Zustand erreicht, findet man das Jetzt, die Zeit, die unendlich währt und in Wirklichkeit die einzige Zeit ist. An jenem Ort hat man endlich Muße, man selbst zu sein.
     
    Es gibt eine Klarheit im Leben, die man erfährt, wenn man nur jagt und frisst und schläft. Im Grunde genommen braucht niemand mehr als das. Wir durch streiften allein die Flu re um Bocksburg - wir, der Wolf -, und wir entbehrten nichts. Wir verlangten nicht nach Reh fleisch, wenn ein Ka ninchen uns über den Weg lief, noch neideten wir den Raben ihren Anteil, wenn sie kamen, um an unseren Resten zu picken. Manchmal erinnerten wir uns an eine andere Zeit, ein anderes Sein. Wenn wir es taten, fragten wir uns, was daran so wichtig gewesen war. Wir schlugen kein Wild, was wir nicht fressen konnten, und wir fraßen kein Tier, das wir nicht schlagen konnten. Die Dämmerung, morgens wie abends, war gut
für die Jagd. Andere Zeiten waren gut, um zu schlafen. Davon abgesehen, hatte Zeit für uns keine Bedeutung.
    Für Wölfe wie für Hunde ist das Leben kürzer als für Menschen, wenn man es nach Tagen berechnet und danach, wie oft man die Jahreszeiten wechseln sieht. Doch für ein Wolfsjunges sind zwei Jahre das Gleiche wie zwanzig für einen Menschen. Es wächst zu seiner vollen Kraft und Größe heran, es lernt alles, was es braucht, um ein Jäger, ein Teil des Rudels oder ein Anführer zu sein.
    Die Kerze seines Lebens brennt kürzer und heller als die eines Menschen. In zehn Jah ren tut er alles, was der Mensch in einer fünf- oder sechsmal so langen Zeitspanne tut. Ein Jahr vergeht für einen Wolf wie das Jahrzehnt für einen Menschen. Die Zeit ist beileibe kein Geizhals, wenn man
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