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Fitz der Weitseher 02 - Der Schattenbote

Titel: Fitz der Weitseher 02 - Der Schattenbote
Autoren: Robin Hobb
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dadurch erleichtert, dass seine Entscheidungen jederzeit
von König Listenreich widerrufen werden konnten. Oft sah er sich vor Situationen gestellt, die er zum einen nicht selbst geschafen hatte, und zu deren Bewältigung er zum anderen nicht mit eigenen Mitteln gerüstet war.
    Möglicherweise noch prekärer war die Stellung der Kronprinzessin Kettricken, die als Tochter des Königs aus dem Bergreich eine Fremde am Hof der Sechs Provinzen war. In friedlichen Zeiten hätte man sie vielleicht mit weniger Vorbehalt aufgenommen, doch in Bocksburg herrschte die gleiche angespannte, düstere Stimmung wie im üb rigen Reich. Die Roten Piratenschife der Outislander suchten unsere Küsten heim wie seit Generationen nicht mehr. Und sie zerstörten dabei weit mehr, als sie raubten. Der erste Winter von Kettrickens Herrschaft als Thronfolgerin brachte auch den ersten winterlichen Raubzug, den wir je erlebt hatten. Die unablässige Bedrohung durch die Überfälle von See her und der Gedanke an die durch nichts zu lindernden Qualen der Entfremdeten in unserer Mitte unterhöhlten das Fundament der Sechs Provinzen. Das Vertrauen in die Monarchie erreichte einen nie dagewesenen Tiefstand, und Kettricken war eines wenig geachteten Thronfolgers fremdländische Gemahlin.
    Dabei spaltete ein Interessenkonflikt den Hof. Die Inlandprovinzen weigerten sich, mit ihren Steuern den Schutz einer Küste zu finanzieren, an der sie keinen Anteil hatten. Die Küstenprovinzen schrien nach Kriegsschifen und Soldaten und einer wirksamen Strategie gegen die Korsaren, die unweigerlich dort zuschlugen, wo wir am wenigsten damit rechneten. Der durch sei ne Mutter den Inlandprovinzen verbundene Prinz Edel bemühte sich, durch alle möglichen Zuwendungen in diese Richtung Einfluss zu gewinnen. Kronprinz Veritas, der davon überzeugt war, dass seine Gabe nicht länger ausreichte, die Korsaren in Schach zu halten, widmete alle Kraft dem Bau einer Flotte und hatte wenig Zeit für seine junge königliche Gemahlin. Über allem hockte wie eine große Spinne König Listenreich, bestrebt, die Macht zwischen sich
und seinen Söhnen zu verteilen, alles im Gleichgewicht zu halten und die Einheit der Sechs Provinzen zu bewahren.
     
    Ich erwachte, weil jemand meine Stirn berührte. Mit einem verärgerten Knurren drehte ich den Kopf zur Seite. Während mich zunächst noch meine Decken gefangenhielten, kämpfte ich mich von ihnen frei und setzte mich auf, um zu sehen, wer es wagte, mich zu stören. König Listenreichs Narr hockte ängstlich auf ei nem Stuhl neben meinem Bett. Ich starrte ihn an, und er duckte sich unter meinem Blick. Mich befiel eine gewisse Unsicherheit.
    Der Narr hätte in Bocksburg sein sollen, bei meinem König, viele Meilen und Tagesritte von diesem Ort entfernt. Ich hatte nie erlebt, dass er abgesehen von der Nachtruhe für länger als nur einige wenige Stunden von des Königs Seite wich. Sein Hiersein bedeutete nichts Gutes. Der Narr war mein Freund, soweit seine Absonderlichkeit es ihm gestattete, jemandes Freund zu sein, doch ein Besuch von ihm verfolgte stets einen Zweck, und selten handelte es sich um eine Ba nalität oder etwas Angenehmes. Sein Gesicht wirkte müde und er trug eine rot-grüne Tracht, die ich an ihm noch nicht gesehen hatte, sowie ein von einem Rattenkopf gekröntes Narrenzepter. Die bunte Kleidung stach grell von seiner bleichen Hautfarbe ab; er sah aus wie eine mit Stechpalmenzweigen umwundene durchscheinende Kerze. So wirkten die Kleider lebendiger als er. Sein spinnwebfeines helles Haar bausch te sich unter dem Rand der Kappe wie der Schopf eines Ertrunkenen im Wasser, in seinen Augen spiegelten sich die tanzenden Flammen des Kaminfeuers.
    »Hallo.« Ich strich mir das wirre, verschwitzte Haar aus dem Gesicht. »Es ist eine Über raschung, dich hier zu se hen.« Mein Mund war trocken, die Zunge dick und pelzig. Und eine verschwommene Erinnerung sagte mir, dass ich mich übergeben hatte.

    »Wo sonst?« Er betrachtete mich sorgenvoll. »Für jede Stunde, die Ihr geschlafen habt, seht Ihr we niger erholt aus. Legt Euch nieder, Majestät, ich werde es Euch bequem machen.« Er zupfte umständlich an mei nem Kissen, aber ich gebot ihm mit ei nem Wink, damit aufzuhören. Irgendetwas stimmte hier nicht. Nie zuvor hatte er auf diese Art mit mir gesprochen. Freunde mochten wir zwar sein, allerdings blieb mir sei ne Rede immer so schwer verdaulich und sauer wie unreifes Obst. Falls er aus Mit leid diese plötzliche Freundlichkeit an
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