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Fitz der Weitseher 01 - Der Weitseher

Titel: Fitz der Weitseher 01 - Der Weitseher
Autoren: Robin Hobb
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dem Gesicht geschnitten, oder was meint ihr? Wer ist deine Mutter, Junge?«
    Um den vorbeikommenden Leuten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen: Die meisten Leute schenkten ihm keine Beachtung und warfen höchstens einen flüchtigen Blick auf den Knaben an der Mauer, aber die Frage des Fassträgers erregte doch so viel Interesse, dass mehr als ein Kopf sich in unsere Richtung wandte, und einige Kaufleute, soeben aus der Küche getreten, kamen näher, um die Antwort zu hören.
    Doch ich konnte keine Antwort geben. Mutter war einfach Mutter gewesen, und was immer ich von ihr gewusst hatte, verblasste bereits. Deshalb erwiderte ich nichts, sondern blickte stumm zu dem Mann auf.
    »Du willst es nicht sagen? Verrätst du mir dann wenigstens, wie du heißt?« Zu seinem Publikum gewandt, verkündete er: »Ich habe gehört, er hat keinen Namen. Keinen hochgestochenen Adelsnamen, um ihn danach zu formen, nicht einmal einen Hausnamen, um ihn rufen zu können. Stimmt das, Junge? Oder hast du einen Namen?«

    Die Gruppe der Zuschauer wuchs. In einigen Augen stand Mitleid, aber keiner mischte sich ein. Etwas von meinen Gefühlen übertrug sich auf Nosy, der sich auf die Seite fallen ließ, unterwürfig den Bauch zeigte und schwanzklopfend signalisierte: »Ich bin nur ein Welpe. Ich kann mich nicht wehren. Verschone mich.« Wären die Umstehenden Hunde gewesen, hätten sie mich beschnuppert und dann in Ruhe gelassen. Leider verfügen Menschen nicht über derartige angeborene Instinkte, deshalb trat der Mann einen Schritt näher und wiederholte: »Hast du einen Namen, Junge?«
    Ich stand langsam auf, und die Mauer, die vor einem Moment noch meinen Rücken gewärmt hatte, war plötzlich ein feindseliges Hindernis, das meinen Rückzug vereitelte. Zu meinen Füßen wand Nosy sich im Staub und winselte flehentlich. »Nein«, sagte ich leise, und als der Mann sich vorbeugte, um mich besser verstehen zu können, rief ich »NEIN!« und wehrte ihn ab, während ich mich seitlich an der Mauer entlangschob. Ich sah ihn zurücktaumeln, das Fass rutschte ihm von der Schulter, fiel auf das Pflaster und zerbrach. Keiner der Zuschauer kann begriffen haben, was geschehen war. Ich begriff es selbst nicht. Die meisten lachten, weil sie einen ausgewachsenen Mann vor einem Kind zurückweichen sahen. Das war der Moment, der meinen Ruf, Mut und Kampfgeist zu haben, begründete, denn noch vor Einbruch der Dunkelheit hatte die Anekdote von dem königlichen Bastard, der sich gegen seinen Peiniger zur Wehr setzte, in der Stadt die Runde gemacht. Nosy sprang auf und gab mit mir zusammen Fersengeld. Ich erhaschte einen Blick auf Cobs ratloses und verstörtes Gesicht, als er - in jeder Hand eine Pastete - aus der Tür schlüpfte und mich und Nosy weglaufen sah. Wäre er Burrich gewesen, hätte ich mich vielleicht seinem Schutz anvertraut,
so aber flüchtete ich und überließ Nosy die Entscheidung, wohin.
    Wir flitzten zwischen den Pagen und Knechten hindurch, für die wir nur ein weiterer nichtsnutziger Bengel und sein Hund waren, die im Hof herumstreunten, und Nosy brachte mich zu dem in seinen Augen offenbar sichersten Platz der Welt. Weit entfernt von der Kirche und dem Palas hatte Hexe unter der Ecke eines windschiefen Vorratsschuppens ein Loch gegraben. Hier war Nosy zur Welt gekommen. Burrich zum Trotz, und hier hatte sie ihre Jungen fast drei Tage lang versteckt halten können. Burrich selbst stöberte sie auf. Sein Geruch war die erste menschliche Witterung, an die Nosy sich erinnern konnte. Ich musste mich durch die schmale Öffnung zwängen, drinnen aber war die Mulde unter dem Gebäude warm und trocken und behaglich dunkel. Nosy schmiegte sich an mich, und ich legte den Arm um ihn. Allmählich beruhigten sich unsere wild schlagenden Herzen, und schließlich sanken wir in einen tiefen, traumlosen Schlummer.
    Stunden später wachte ich frierend auf. Es war finster und bitterkalt. Die erste Wärme des lauen Vorfrühlingstages hatte sich verflüchtigt. Nosy streckte sich und gähnte, dann krochen wir hintereinander ins Freie.
    Ein klarer Sternenhimmel wölbte sich über Bocksburg und funkelte grell und frostig durch die Nacht. Der Salzhauch des Meeres machte sich stärker bemerkbar, als wären die Gerüche des Tages von Menschen und Pferden und Küche vergängliche Dinge, die sich jede Nacht dem Ozean ergeben mussten. Wir gingen einsame Pfade entlang, durchquerten Übungsplätze und kamen an Kornspeichern und dem Weinkeller vorbei. Alles war still und
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