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Fischland-Rache

Fischland-Rache

Titel: Fischland-Rache
Autoren: Corinna Kastner
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Bleistift, mit dem er hier und da in
den Öffnungen des Kopfes herumpulte.
    Â»Da haben wir ja das Corpus Delicti.«
    Hansen zog mit dem Stift ein Stück weißen Kunststoff aus dem offenen
Hals. Keine Ahnung, ob die Gerichtsmediziner im Labor das gern gesehen hätten,
aber eines musste man ihm lassen, den richtigen Riecher für das Lösen rätselhafter
Phänomene hatte Hansen wie kein Zweiter.
    Die Plastiktüte (denn als solches erwies sich der Kunststoff)
verstopfte den Zugang in die Kopfhöhle, sodass weder Wasser eindringen noch die
Verwesungsgase aus dem Hirnbereich austreten konnten, vermutete ich. Das
entstandene Vakuum zwischen Schädeldecke und künstlichem Pfropfen füllte sich
mit fauligem Gas und ließ den Kopf auf der Meeresoberfläche tanzen.
    Â»Sieht fast aus wie ‘ne Qualle.«
    Das war einmal mehr Lotte, die nahm nie ein Blatt vor den Mund, sie
band sich gerade eine alte Küchenschürze um. Fast jeder kannte und mochte die
Nannsen vor allem wegen ihrer exquisiten Fischbrötchen, die waren nicht nur
hier unten am Pier des Alten Hafens konkurrenzlos, die hatten mittlerweile
einen Ruf weit über die Grenzen der Hansestadt hinaus.
    Â»Wenn du nur lang genug auf die See schaust«, fabulierte Lotte (im
Original natürlich auf Plattdeutsch) mit schlauer Zunge zwischen ihrer großen
Zahnlücke hindurch, »dann schwimmen irgendwann die Leichen deiner Feinde an dir
vorbei.«
    Ich schrieb das auf, verstand es aber nur ungefähr. Auch Hansen
guckte, als sei das Chinesisch gewesen.
    Â»Was meinst du damit, Lotte?«
    Â»Altes Mecklenburger Sprichwort!«
    Sie grinste und kratzte sich am Kopf.
    Â»Kennst du vielleicht den … den Namen zum Kopf?«
    Â»Nö, kenn ich nicht. Aber die Piratenbinde spricht Bände.«
    Â»Die was?«
    Â»Na, die olle schwatte Klüsenklappe!«
    Â»Wieso?«, entfuhr es mir.
    Â»Na, das ist einer von den Störtebeker Söhnen!«
    Â»Die wer?«
    Hansen wurde neugierig, er kletterte mit Lotte und mir im Schlepptau
zurück auf ihren Kahn und wies mich an, alles Weitere aufs Genaueste zu
protokollieren. Hätte der Chef gar nicht so betonen müssen, das war
selbstredend.
    Lotte Nannsen begann mit einem kleinen scharfen Messer flink und
routiniert ihren Frischfisch zu schuppen und auszunehmen.
    Sie hätte schon öfter und meistens weiter unten am Kai eine über die
Monate wachsende Gruppe von jungen Männern beobachtet, die allein dadurch
auffielen, dass sie ausstaffiert seien wie die Seeräuber.
    Â»Ein gutes Dutzend sind das«, ergänzte sie mit dem Küchenmesser in
der Luft nachzählend.
    Â»Und das ist kein Seemannsgarn?«, fragte Hansen ungläubig.
    Â»Wo denkst du hin, Olaf. Hab ich das nötig?«
    Olaf Hansen war einer von Lottes Stammkunden, regelmäßig speiste er
hier zu Mittag, meist Pfeffermakrele im Brötchen mit Bier, oder nahm sich
fangfrischen Fisch zum Abendbrot mit nach Hause. Daher kannten sich beide schon
gut und hatten in den letzten Monaten ein herzliches und vertrautes Verhältnis
zueinander aufgebaut.
    Â»Und was machen die, die See … die … Seeräuber?«
    Â»Na, nichts Genaues weiß man nicht. Nur dass sie so Tücher um den
Kopf tragen.«
    Sie unterbrach ihre Arbeit und deutete mit der Messerspitze hinüber
zum Schädel auf der Kaimauer. »Und manche tragen auch solche Klüsenklappen!
Oder sie haben Säbel dabei und so komische Pluster- oder Pumphosen.«
    Â»Und dann?«
    Hansen guckte Lotte begierig an, wenn man das in Anbetracht ihres
Alters so ausdrücken durfte.
    Â»Die haben da ein Boot liegen, den modernen Holzkahn dahinten, von
hier aus gesehen gleich hinter der schwarzen Hansekogge.«
    Sie zeigte noch einmal die Hafenanlage hinunter und wies auf eines
der dort vertäuten Segelschiffe.
    Â»Da hocken sie denn drauf oder basteln dran herum oder fahren raus
und machen einen Törn und kommen dann wieder zurück. Mehr weiß ich nicht, Olaf.
Ehrlich.«
    Hansen war ganz Ohr und schien von der Beobachtungsgabe seiner
Fischverkäuferin begeistert zu sein.
    Begleitet von gierigem Möwengezeter kippte Lotte jetzt einen kleinen
Plastikeimer voller Schuppen und Eingeweide flugs über die Reling ins
Hafenbecken, und zwar ziemlich genau an der Stelle, wo vorhin noch der tote
Kopf gedümpelt hatte. Das war eine klare Ordnungswidrigkeit und, wenn ich mich
richtig erinnerte, nicht erst
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