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Fischer, wie tief ist das Wasser

Fischer, wie tief ist das Wasser

Titel: Fischer, wie tief ist das Wasser
Autoren: Sandra Lüpkes
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ich gehört.»
    Sofort sprang ein lebendiger Funke in seine Augen und er nickte fröhlich. «Die schönste Sandbank der Welt! Sie können mich ja mal besuchen, vielleicht fahren Mama und ich ein paar Tage dorthin.»
    «Sehr nett», lachte ich. «Danke für deine Einladung. Vielleicht sollten wir aber erst deine Mutter fragen, ob es ihr recht ist.» Ich zwinkerte ihm zu und fand, dass er genauso liebenswert und freundlich war wie die anderen Kinder, die ich in den ersten Stunden im Haus kennen gelernt hatte.
    Dann wandte ich mich Sjard Dieken zu. Ich musste den Kopf fast ganz in den Nacken legen, denn mein Gegenüber war groß,sicher beinahe zwei Meter. Es lag ein ganzer Kopf zwischen uns. Und trotzdem gab es da einen Funken, ein ganz bestimmtes, kaum wahrnehmbares Gefühl, etwas, das zwischen uns übersprang, als wir uns die Hand gaben. «Und Sie sind dann wohl Sjard Dieken?»
     
    Sie beobachtete. Es war das Erste gewesen, was sie konnte, und auch jetzt, wo sich ihr Leben von Grund auf verändert hatte, brannten ihre Augen von all dem, was sie in sich hineinsog. Würmer, die sie aus dem teigigen Boden am kleinen Kanal hinter dem Haus herausgezogen hatte, drehten und schlängelten sich unter ihrem Skalpell, das eigentlich eine stumpfe Bastelschere war. Und die Federn der toten Möwe in ihrem geheimen Versteck wurden unter dem Vergrößerungsglas zu einem kleinen Dschungel.
    Und in den letzten fünf Tagen hatte sie die Neue beobachtet.
    Gesa fand, dass diese Okka Leverenz nicht hierher passte. Fast eine Woche war sie nun schon bei Liekedeler und Gesa wollte sich nicht an sie gewöhnen. Vielleicht war sie ja ganz hübsch, ihr kleines, etwas rundes Gesicht mit den großen Augen sah aus wie gemalt, es waren keine Ecken und Kanten darin, Okka Leverenz sah aus wie ein junges Mädchen. Außerdem war sie nicht groß. Sie war eine kleine Frau mit schneckenförmig hochgesteckter Frisur und dickem Hintern, sicher trug sie nach Feierabend die blonden Haare offen und dazu enge Jeans, bei der nach dem Abendessen der oberste Knopf geöffnet werden musste. Doch was man sah, war meist nicht das Wichtigste. Was man hörte, konnte einem mehr über die Menschen erzählen.
    Gesa hatte Redenius belauscht, als er Dr.   Schewe zur Seite genommen hatte, um sich über die neue Kollegin zu erkundigen. «Sie scheint mir keine Ahnung zu haben, wenn ich das so sagendarf. Haben Sie mal ihren Lebenslauf gesehen? Nichts Konkretes, keine Linie. Und sie wirkt so naiv wie eine Kindergärtnerin! Was haben Sie sich dabei gedacht?» Doch Dr.   Schewe hatte nichts dazu gesagt, was Gesa sehr bedauert hatte. Sie hätte auch gern gewusst, was diese Frau mit dem lauten Lachen hier zu suchen hatte. Auf den ersten Blick war Okka Leverenz sicher eine tolle Frau, Ingo Palmer mit seinem Klumpfuß schwärmte jedenfalls von ihr, seit sie irgend so einen albernen Flummi aus dem Graben gefischt hatte.
    Wenn sie spürte, dass die Blicke der Neuen auf ihr ruhten, dann lächelte sie und wippte mit den Füßen, wie sie es bei anderen zwölfjährigen Mädchen gesehen hatte. Als Dr.   Schewe sie der Neuen vorgestellt hatte, hatte Gesa ganz die Schüchterne spielend in ihre Faust gekichert und mit den Augen gerollt. Doch sie hatte etwas anderes gedacht, etwas, das in keiner Weise albern oder kindisch war:
    Ich gebe dir nicht mehr als sechs Wochen, Okka Leverenz, du Kröte!
    Dieses Haus gehörte Gesa.
    Es war so etwas wie eine Burg, in die ein mutiger Ritter sie damals geführt und endlich in Sicherheit gebracht hatte. Der Blick aus dem dritten Stock, wenn man auf dem Dachboden saß und die Holzbretter vom kreisrunden Fenster entfernte, er gehörte ihr allein, dieser Blick auf den glatten Landteppich, der mal grasgrün, mal rapsgelb und im Winter matschgrau war und an dessen Ende sich der Deich vor dem Meer erhob.
    Vielleicht war es Henk Andreesen, der Gesa das Gefühl gab, nicht mehr Herrin im Hause zu sein. Seit er bei seiner Ankunft im April mit seinen Stiefeln die letzten Osterglocken auf dem Rasen zertreten hatte, galt ihm das ganze Interesse. Dr.   Schewe und Redenius sprachen nur noch über ihn. Doch am meistenschmerzte sie der Verlust von Sjard Dieken, ihrem Lebensretter, er hatte diesen langweiligen Inseljungen mitgebracht und wich seitdem nicht von seiner Seite.
    Die Eifersucht brannte auf der Haut wie das Feuer der Brennnesseln in ihrem geheimen Versteck. Henk machte beinahe alle zwei Wochen einen Test, ihr letzter lag nun schon ein Vierteljahr zurück. Genau
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