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Fey 01: Die Felsenwächter

Fey 01: Die Felsenwächter

Titel: Fey 01: Die Felsenwächter
Autoren: Kristine Kathryn Rusch
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einigen Experten überlassen, die ihre eigenen Methoden haben.«
    »Kulturelle Unterschiede?« fragte der Mann.
    »Und physische«, entgegnete Jewel.
    Der Junge konnte dem Wortwechsel nicht folgen. Offenbar kannte er die Wörter nicht. Aber der Mann kannte sowohl die Wörter als auch ihre Bedeutung. Das Blut wich aus seinem Gesicht.
    »Er ist noch ein Junge«, sagte er.
    Jewel nickte. »Sehr nützlich. Schade, daß wir keine eurer Frauen gefangen haben.«
    »Frauen?« Es klang verblüfft.
    »Wenn du anders bist, müssen auch sie es sein«, erklärte Jewel.
    »Anders?« fragte er wieder.
    »Als wir.« Ihr Ton war sanft, und einen Augenblick lang schien der Mann verwirrt. Erst in diesem Moment bemerkte Jewel eine Gemeinsamkeit zwischen ihren unterschiedlichen Rassen: Wenn der Gefangene die Stirn runzelte, glichen auch seine Augenbrauen kleinen Flügeln. Bei dieser Entdeckung schnappte sie unwillkürlich nach Luft. Was, wenn sie alle auf einer gewissen Ebene miteinander verwandt waren, so wie alle Fische oder alle Katzen untereinander? Wenn die Fey keine andere Art Wesen waren, sondern nur eine verbesserte Ausführung desselben Wesens, ein Zustand, den auch die Inselbewohner erlangen konnten? Das würde auch ihr giftiges Wasser erklären: Irgendwie hatten sie eine ähnliche Ebene erreicht wie die Fey, aber ohne sich dessen bewußt zu sein, und das wiederum hatte eine katastrophale Wirkung auf die echten Fey.
    »Wir sind tatsächlich anders«, erklärte der Mann. »Wir sind nämlich friedfertig.«
    »Aber ihr habt trotzdem gute Arbeit geleistet«, widersprach Jewel und dachte an all die Toten und Verwundeten, die sie heute morgen gesehen hatte.
    »Nein«, sagte der Mann. »Das meine ich nicht. Deine Leute haben das merkwürdige Bedürfnis, überall die Herrschaft an sich zu reißen. Wir dagegen sind damit zufrieden, ungestört auf unserem Eiland zu leben. Warum laßt ihr uns nicht einfach in Ruhe?«
    Hinter seinen Worten vernahm Jewel eine andere Stimme: All diese Toten für etwas, das wir euch auch freiwillig gegeben hätten. Sie schüttelte den Gedanken ab. Damit konnte sie sich später beschäftigen. »Mein Volk treibt keinen Handel. Es ist besser, etwas zu besitzen, als dafür zu bezahlen, oder?«
    »Aber ihr könnt nicht alles besitzen«, wandte der Mann ein. »Mich zum Beispiel könnt ihr nicht besitzen, egal, was ihr mir antut. Selbst wenn ihr über meinen Körper bestimmt, gehören meine Gedanken doch mir allein.«
    Jewel starrte ihn an. War seine Naivität echt oder gespielt? Dann fiel ihr ein, daß die Inselbewohner vor dem vergangenen Jahr keinerlei Kontakt mit den Fey gehabt hatten und nichts über Doppelgänger wußten. »Dann sollte es für dich doch kein Problem sein, mir deinen Namen zu verraten«, sagte sie schließlich.
    Der Mann lehnte sich lächelnd zurück. Die Seile schnitten in seine Kleidung und hinterließen speckige Falten auf dem schmutzigen Stoff. Das schien ihn nicht zu stören. »Adrian«, antwortete er. »Und das ist mein Sohn Luke.«
    Das waren immerhin drei äußerst nützliche Informationen. Der Junge blickte seinen Vater noch verwirrter an als vorher. Adrian hatte recht: Der Junge hätte lieber zu Hause bleiben sollen.
    »Dein Sohn spricht ziemlich schlecht Nye«, meinte Jewel.
    »Wir dachten, er braucht keine Sprachkenntnisse.« Das ›wir‹ überraschte Jewel. Bezog es sich vielleicht auf eine Frau, die gemeinsam mit dem Vater die Entscheidungen traf? Solanda hatte behauptet, Frauen spielten in der Gesellschaft der Insel nur eine untergeordnete Rolle. Oder meinte Adrian damit einen anderen Mann? Den Alten?
    »Also ist er nicht dein einziger Sohn.«
    Adrian zuckte zusammen. Die Frage hatte ihn überrascht.
    Jewel lächelte wieder. »Der älteste Sohn lernt das Handwerk seines Vaters. Die jüngeren Söhne bestellen die Felder. Ist das der Brauch bei euch?«
    »Nein«, gab der Mann zurück. »Der älteste Sohn ist der Erbe.«
    »Und was wird aus den jüngeren Söhnen?« Jewel hatte schon längst erraten, daß der Junge Adrians Lieblingssohn war.
    »Was immer sie wollen.«
    »Ihr schickt sie mit leeren Händen in die Welt hinaus und hofft, daß sie überleben?«
    Adrian zuckte die Achseln. »So habe ich es jedenfalls gehalten.«
    Jewel schlug die Beine übereinander, so daß ihr rechter Knöchel auf ihrem linken Knie ruhte. »Also habt ihr Landbesitz«, sagte sie. »Und ihr bemüht euch, ihn zu erhalten. Bei uns ist das anders. Wir erben alle, und deshalb müssen wir unseren Lebensraum
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