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Feuersteins Ersatzbuch

Feuersteins Ersatzbuch

Titel: Feuersteins Ersatzbuch
Autoren: Herbert Feuerstein
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davon aus, dass es dem Rest der Menschheit genauso geht — es gibt also keinen Grund, leise zu sein oder Abstand zu halten. Also wird gelärmt und gelacht, durchs Bild gelaufen und die Kamera blockiert. In unserem Fall sah das so aus, dass sich immer wieder grinsende Japaner neben mich und die Vögel stellten, für einen Schnappschuss, damit die Leute zu Hause sehen, was für Irre es auf dieser Welt gibt. Ein Aufnahmeleiter, der hier die Autorität der Kamera ausspielen wollte oder sich gar zu Drohgebärden hinreißen ließe, würde verlacht werden oder riskierte eine aufs Maul.
    Während die Japaner meinem Text nur mit lärmender Interesselosigkeit begegneten, schienen die Vögel auch am Inhalt Anstoß zu nehmen. Sie verhöhnten mich, weil ich immer wieder neu anfangen musste, sie machten textliche Verbesserungsvorschläge, und als ich sagte, dass Papageien in Hawaii gar nicht heimisch sind, wurden sie böse. Erst zupfte der eine so lange an meiner Mütze, bis sie runterfiel, dann riss mir der nächste die Brille von der Nase. Ein dritter zerfetzte den Ärmel, der vierte schiss mir auf die Hand. Dann artete das Ganze aus: Der linke Schultervogel biss mich ins Ohr, was der rechte so gut fand, dass er mir mehrere Haare ausriss und dazu auch noch »Wichser!« schrie.
    Die Papageien-Herrchen erkannten mit geschultem Blick die Lebensgefahr, in der ich schwebte, und wollten mir zu Hilfe eilen, aber Wolpers hielt sie zurück. Er strahlte, wie ich ihn nie hatte strahlen sehen: Es war der Dreh seines Lebens. Erst als der Ohrenbeißer ansetzte, mir auch die Augen auszuhacken, und ein New Yorker Anwalt, der sich zufällig in der Menge der Gaffer befand, mit seiner Visitenkarte wedelte, um mir seine Dienste beim zu erwartenden Schadensprozess anzubieten, rangen sich die Vogelmenschen von Wolpers los und rissen mir die sechs Bestien vom Leib.
    Natürlich lache ich heute darüber, wie jeder Überlebende lacht, wenn das Krokodil vorbeigebissen hat. Darüber hinaus bin ich fast sogar dankbar für dieses Erlebnis, denn es war ein Lehrstück der Konzentration: Textbewältigung unter Lebensgefahr, vielleicht ein neues Unterrichtsfach in Kommunikationswissenschaft? Unis, meldet euch bei mir.

Sehnsucht nach Kiemen

    Egal, in welche Richtung man auf einer Insel losmarschiert, man endet immer am Meer. Das gilt zwar letzten Endes auch für das Festland, aber da ist der Weg meist etwas weiter.
    Aus dem Wasser sind die Haiwaii-Inseln aufgetaucht, Wasser prägt ihre Landschaft, am Wasser kommt man also nicht vorbei, und das ist mein Problem. Denn ich mag das Wasser nicht, wie schon mehrfach bekundet. Ich bin wahrscheinlich der einzige Mensch, der nur deshalb lieber duscht, weil er in der Badewanne seekrank wird. Bei einem Wort wie »surfen« muss ich mich sofort setzen, damit ich nicht ohnmächtig werde.
    Rund um Hawaii haben die Wellen mehrere tausend Kilometer Platz, um so richtig Anlauf zu nehmen. Sechs Meter steigen sie in den Wintermonaten hoch, bevor sie auf den Strand klatschen, so genannte »Monsterwellen« erreichen sogar zehn Meter, die lichte Höhe von sechs Feuersteins. Ein einziger Feuerstein hat deshalb an solchen Stränden nichts verloren.
    Es gibt erstaunlich viele Wahnsinnige, die völlig anderer Meinung sind. Entspannt hocken sie an der Sunset Beach im Norden von Oahu im Sand, spazieren gelassen durch die Gegend, dösen in Liegestühlen — doch dann heult plötzlich eine Sirene auf, und alles rennt los. Aber nicht in Richtung Land, wie es die Vernunft geböte, sondern ins Wasser. Mit Surfbrettern unter den Armen. »Surfs in!« verkündet die Sirene, das Signal, dass die ideale Wellenhöhe für den Selbstmord erreicht ist.
    »Sport der Könige« wird das hawaiianische Wellenreiten genannt, weil es einst den lokalen Herrschern Vorbehalten war, belegt seit dem 15 .Jahrhundert. Das Schweben auf den Wassern galt für die als Götter angesehenen Monarchen als mystische Meditation, vererbt von Vater auf Sohn. Ich habe noch das »Ahnenbuch« meines Vaters aus der Nazizeit, worin der Stammbaum unserer »Sippe« zum rassereinheitlichen Nachweis zurückverfolgt wurde, ebenfalls bis ins 15. Jahrhundert. Daher weiß ich: Es befinden sich zwar massenhaft Krieger unter meinen Ahnen, und auch ein paar Landstreicher, aber kein einziger König. Es besteht also weder genetische noch göttliche Verpflichtung für mich, das Wasser zu mögen.
    Es gibt noch einen weiteren Grund, warum ich das Wasser meide: Surfer's Ear, die unheimliche
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