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Feuersteins Ersatzbuch

Feuersteins Ersatzbuch

Titel: Feuersteins Ersatzbuch
Autoren: Herbert Feuerstein
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also gerade mal fünf Prozent — und auch davon ist ein Drittel vom Aussterben bedroht. Und von den ehemals siebzig Vogelarten sehen nur zwanzig einer einigermaßen gesicherten Zukunft entgegen. Daran sind die europäischen Kolonialisten ausnahmsweise unschuldig, das haben sich die Hawaiianer selber eingebrockt. Denn da die traditionellen Königsroben ausschließlich aus Vogelfedern bestanden, haben sie alles Buntfedrige buchstäblich in die Vernichtung gerupft. Papageien hätten deshalb auf diesen Inseln niemals eine Chance gehabt, selbst wenn sie hier heimisch gewesen wären. Waren sie aber nicht. Sie wurden erst von den Europäern angeschleppt. Wie zum Beispiel von Wolpers.
    Als Wolpers wiederkam, war er in Begleitung mehrerer Fotografen — mit insgesamt sechs Papageien, die sofort »Wichser« und »Arschloch« schrien, als sie mich sahen, was mich wunderte, weil man mir sonst so was erst nachsagt, wenn man mich ein Weilchen kennt. Aber wahrscheinlich hatte Wolpers sie unterwegs schon aufgehetzt. »Die tun nix!« rief er von weitem, die berühmten letzten Worte vor der Begegnung mit Kampfhunden. Und ich erkannte sofort: Das waren mehr als die üblichen Touristenschmäher. Das waren Killer.
    Ausgemacht war, dass Wolpers einen einzigen dieser Foto-Vögel besorgen würde, der dann stimmungsvoll auf meiner Schulter sitzen sollte, während ich meinen Naturaufsager in die Kamera ablieferte. Einen handzahmen, friedlichen Papagei. Nicht sechs boshafte, sadistische Raubtiere, von denen Alfred Hitchcock nur träumen konnte. Niemals hätte ich so etwas zugelassen!
    Gewöhnlich komme ich mit den gefiederten Freunden aus Wiese und Wald recht gut zurecht, wie meine liebe Frau, die ihren goldenen Käfig mit zwei Wellensittichen teilt, jederzeit bestätigen wird. Das gilt für meinen Umgang mit allen Tieren: Ich bin respektvoll und unaufdringlich, und versuche die Annäherung behutsam, indem ich mich genauso verhalte wie sie selber.
    Das tat ich auch bei den sechs Papageien: Ich sprach sie meinerseits mit »Wichser« und »Arschloch« an — was mir ganz locker von den Lippen ging, weil ich ja Wolpers dabei anschauen konnte —, doch schuf das keineswegs die erhoffte Kumpanei der Meinungsgleichheit zwischen mir und den Vögeln. Im Gegenteil: Ihr Krächzen wurde noch ein paar Grade hysterischer. Aber noch lauter war Wolpers, der auf mich einredete wie ein Falschspieler, bei dem man gerade ein fünftes Ass im Ärmel entdeckt hat: Wie toll und lustig das doch aussehen würde, wenn ich über die Wunder der Natur redete, während sechs bunt gefiederte Aras mein edles Antlitz rahmten, wie dramatisch und stimmig noch dazu, das könne kein anderer! Keiner von den andern Giganten des Bildschirms würde sich so was trauen, nicht mal Max Schautzer.
    Weil ich eitel bin und auf jede Schmeichelei reinfalle, stimmte ich zu. Wolpers, der selber immer einen Abstand von mindestens zwei Metern zu den Vögeln hielt, wies ihre Besitzer an, mich zu drapieren: Je ein Papagei kam auf die Schultern, zwei weitere wurden auf die angewinkelten Ellbogen gesetzt, die restlichen auf meine Hände.
    Mein Vorhaben, die ökologischen Besonderheiten Hawaiis in ein paar Sätze zu fassen, war in der Ausführung nicht ganz einfach. Denn einerseits habe ich den Ehrgeiz, so was auswendig abzuliefern, da in einer »spontanen« Reportage nichts armseliger wirkt als ein abgelesener Text. Andererseits müsste man ein buddhistischer Zen-Meister sein, um mit sechs Kampfvögeln am Leib Konzentration und Gelassenheit zu bewahren, zumal der Inhalt meiner Botschaft nicht unkompliziert war.
    Und so kam es denn auch: Mehrfach verlor ich den Faden, redete noch mehr Müll als sonst und musste immer wieder neu anfangen, da eine solche Szene, um authentisch zu wirken, aus einem Stück sein muss, ohne Schnitt. Als weitere Erschwernis kam hinzu, dass sich rund um uns ein Kreis von Zuschauern gebildet hatte, hauptsächlich Japaner, die hier die touristische Mehrheit bilden und Hawaii genauso in Besitz genommen haben wie wir Deutsche Mallorca. Da sie nur sahen, was sich hier abspielte, aber kein Wort meines wissenschaftlichen Textes verstanden, redeten sie laut und unbefangen drein.
    Das ist ein altes Problem bei der Kameraarbeit im Ausland: Während zu Hause die Gaffer entweder fasziniert zuhören oder sich gähnend trollen, ist es unter Fremdsprachigen so gut wie unmöglich, die nötige Ruhe für einen störungsfreien Ablauf zu erzeugen. Denn wer nichts versteht, geht in aller Unschuld
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