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Feuerbande

Feuerbande

Titel: Feuerbande
Autoren: Birgit Otten
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trampelnden Menschen zu nahe kommen, während du gerade in einem Heuhaufen schläfst, friedlich und nichtsahnend? Oder wenn dich ein halbblinder Raubvogel am Himmel mit einer seiner Mäuse verwechselt? Nichts, eben. Dann ist es einfach zu spät.
    Das ist übrigens auch einer der Gründe, warum ich oben auf dem Speicher schlafe, dort, wo außer Spinnen und Staub niemand anderes mehr hinkommt. Und weshalb ich tagsüber gern als schwarze Katze unterwegs bin. Da hat man wenigstens seine Ruhe.
    Nicht, dass viel los gewesen wäre auf unserem Hof. Die Tage, als ganze Bauernfamilien hier wohnten und kleine Kinder über die Wiesen sprangen, die sind schon seit langem vorbei. Heute gibt es hier nur noch den Bauern, der mit seinem Hof alt geworden ist, ein paar Hühner, ein paar Gänse, Vigo, das alte Arbeitspferd, und mich, natürlich. Der Bauer bekommt mich nicht zu sehen, das Federvieh sucht stets das Weite, wenn ich in der Nähe bin, und so bleibt mir nur Vigo, das Kaltblut, wenn ich mit jemandem reden will.
    So wie heute. Wie in dieser Nacht.
     
    „Ich mache mir Sorgen um den Bauern“, meinte Vigo, als ich auf dem Querbalken vor ihm saß und meine Beine baumeln ließ. „Er ist nicht mehr so wie früher. Die Arbeit macht ihm Mühe, und bald wird er sie nicht mehr schaffen. Was wird geschehen, wenn er den Hof verkaufen muss? Was wird dann wohl aus uns werden?“
    Ich schaute auf die Spitzen meiner Füße, die in den feinen Lederschuhen steckten, die die jüngste Tochter des Bauern für mich hingestellt hatte, damals, in längst vergangener Zeit.
    „Ich bin hier der Hofkobold“, stellte ich fest. „Ich muss bleiben, solange das Haus besteht, egal, was geschieht. Und ich werde mich schon irgendwie durchschlagen. Was aber nun dich betrifft...“ Ich wollte ihm nicht offen sagen, dass seine Sorgen da wohl berechtigt waren. „Was würdest du denn gern tun, Vigo? Ich meine, wenn du frei wärst, zu gehen, wohin du wolltest?“
    Er schaute nachdenklich an mir vorbei in das Halbdunkel des Stalles, in dem einst noch andere Tiere gestanden hatten. Er war der letzte hier, so wie ich, wie der Bauer.
    „Wenn ich frei wäre“, erklärte er schließlich, „dann würde ich davongehen in den tiefen Wald. Ich würde laufen und laufen und laufen, bis ich sie gefunden hätte. Einhörner, weißt du? Wunderschöne Pferde mit einem Horn auf der Stirn. Magische Wesen, wie man sagt. Ich wollte schon immer eines sehen.“
    Ich starrte ihn an, das Arbeitspferd, das auch schon bessere Zeiten hinter sich hatte. Einhörner, so. Genauso gut konnte ich mir wünschen, ein schöner, mächtiger Prinz zu sein, der in einem Schloss leben durfte bis ans Ende seiner Tage.
    Aber ich wollte ihm seinen Traum nicht verderben. Träume waren alles, was er jetzt noch hatte.
    „Ach so“, meinte ich deshalb nur. „Nun, ich werde jetzt aber schauen gehen, ob der Bauer mir schon etwas bereit gestellt hat. Langsam bekomme ich doch Hunger.“
     
    Es ist eine gute alte Tradition unter uns Kobolden, dass die Menschen uns stets eine Schale mit Milch oder ein Schüsselchen Grütze hinstellen – andere Leckereien werden natürlich auch gern genommen. Damit halten sie uns gewogen. Natürlich wissen sie nicht, dass wir trotzdem an ihrem Hof bleiben müssen, ob uns das nun gefällt oder nicht, und wir werden uns hüten, das zu verraten. Denn das Gebundensein an einen Ort, den wir mit unserem Zauber oder unserer Anwesenheit allein beschützen, ist ja die Bedingung für unsere Magie.
    Der Vorteil, den so eine Milchschüssel bietet, ist, dass man sie auch in der Katzengestalt leeren kann, ohne dass sich jemand etwas dabei denkt.
    Ich huschte also über den Hof zum Scheunentor, auf dessen Schwelle die flache Schüssel sonst einladend auf mich wartete. Sonst, sage ich, denn sie war nicht da. Der Platz, wo sie hätte stehen müssen, war leer.
    Nun konnte es natürlich passieren, dass der Bauer noch nicht dazu gekommen war oder es einfach vergessen hatte. Aber das war so selten geschehen, dass mich sofort ein unruhiges Gefühl ergriff. Irgendetwas stimmte nicht, und da ich der Hofkobold war, war es meine Aufgabe, dem nachzugehen.
    Die Nacht war ansonsten ruhig und still, und ich wusste, dass mein schwarzes Fell so in ihr verschwinden würde, dass ich mich nicht einmal unsichtbar zu machen brauchte, als ich hinüber zum Wohnhaus schlich. Auch hier herrschte nur Dunkelheit, es brannte nicht einmal eine Kerze. Mit einer geschmeidigen Bewegung sprang ich hoch auf das Fensterbrett
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