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Fast genial

Fast genial

Titel: Fast genial
Autoren: Benedict Wells
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erfolgreichsten
Künstler der Welt. Er schien ständig zwischen den beiden Persönlichkeiten hin-
und herzuwechseln. Mal tickte er als Marshall Mathers aus und schlug jemanden,
nahm zu viele Drogen oder war seiner Tochter ein schlechter Dad. Dann hatte er
als Eminem wieder einen neuen Nummer-eins-Hit, gab kluge Interviews und bekam
sein Leben endlich in den Griff. In schwierigen Situationen stellte Francis
sich immer vor, was Eminem an seiner Stelle getan hätte.
    In der zweiten Stunde hatte er Geschichte bei Mr.
Hayes. Francis hasste die Stunden bei ihm. Hayes bekam oft Wutausbrüche wie
Donald Duck, außerdem engagierte er sich politisch, kurz vor der Wiederwahl von
Bush hatte er in der Stadt Flyer für die Republikaner verteilt. Am Beginn der
Stunde gab er die Arbeiten der letzten Woche zurück, und Francis hörte seine
Mitschüler jubeln oder aufstöhnen. Erst zum Schluss kam Hayes zu ihm und
schüttelte den Kopf. „Nicht mal zu wissen, in welchem Jahrhundert der Erste
Weltkrieg war, ist eine Schande, Dean!“
    Francis verstaute die Arbeit in seinem Rucksack,
ohne sie anzusehen. Die restliche Stunde über hatte er die Kapuze auf dem Kopf
und tauchte ab. Nur am Rande bekam er mit, wie Hayes mal wieder eine seiner
politischen Diskussionen führte und mit Luke Fabianski stritt, der hinten in
der Ecke saß. Luke war einer der Besten in der Klasse, seine Großeltern kamen
aus Polen. Francis mochte ihn gern, sie jobbten beide im selben Restaurant,
auch Lukes Eltern hatten kaum Geld. Neulich hatte er Francis beigebracht, auf
Polnisch bis drei zu zählen: raz, dwa,
trzy. Offenbar hatte er gerade
behauptet, dass der Krieg nur wegen dem Öl geführt werde und dass das alles
eine Farce sei.
    Hayes schnauzte ihn an: „Die
haben doch damals uns angegriffen, nicht wir
sie. Meine Cousine war in einem der Flugzeuge, sie hatte zwei kleine Kinder,
soll ich denen sagen, dass wir ihre Mutter leider nicht rächen werden, weil
wir ein Volk von Feiglingen sind?“ Er schüttelte den Kopf. „Drüben sind unsere
Leute, die gerade für deine Freiheit kämpfen. Die sterben, damit du dir solche
Meinungen erlauben kannst. Also zeig ein wenig mehr Respekt!“
    Bis zum Ende der Stunde diskutierten sie über
Moslems, Ollobby, Patriotismus, Cheney und Freiheit. Francis war das alles zu
hoch, für Politik hatte er sich noch nie groß interessiert. Er wusste nur, dass
Eminem gegen den Krieg war, und in solchen Dingen hatte er eigentlich immer
recht. Aber Hayes' Sohn kämpfte gerade drüben, das hatte ihm neulich jemand
gesagt. Irgendwie war also seine ganze Familie in diesen Krieg reingeraten,
und deshalb konnte er gut verstehen, dass Hayes ein wenig ausflippte, wenn jemand
das alles eine Farce nannte.
     
    Als Francis vor Anne-Mays Zimmer stand und an der
angelehnten Tür klopfen wollte, hörte er Stimmen. Vorsichtig linste er hinein;
an ihrem Bett standen ein Mann und eine Frau. Offenbar ihre Mutter und... ihr
Vater. Seine Hand lag auf Anne-Mays Schulter. Wie konnte er es nur wagen, sie
hier zu besuchen? Eine Sekunde lang wollte Francis ins Zimmer rennen und sich
auf ihn stürzen, aber dann erinnerte er sich an Anne-Mays Worte. Sie hatte
gesagt, wenn er jemandem von der Vergewaltigung erzählen würde, würde sie ihn
umbringen. Und so unterdrückte er die Wut und schlurfte weiter den Gang
entlang.
    Nachdem ihre Eltern gegangen waren, kam Anne-May aus
der Tür. Sie wirkte noch blasser als sonst. „Ich brauche eine Zigarette“, sagte
sie und nickte in Richtung Klavierzimmer.
    Anfangs sprachen sie kaum und rauchten nur. Dann
musterte ihn Anne-May. „Weißt du eigentlich, wie gut du aussiehst?“ Sie
fixierte ihn noch immer, in seinem Nacken begann es zu kribbeln. „Du hast
extrem blaue Augen“, sagte sie. „Einer meiner Exfreunde hat auch blaue Augen,
aber nicht so wie du.“
    Inzwischen wusste er, dass Anne-May schon viele Liebhaber
gehabt hatte. Sie hatte ein offenes Verhältnis zu Sex und redete gern darüber,
einmal hatte sie sogar scherzhaft gesagt, sie sei wohl eine Nymphomanin.
Francis fragte sich, ob ihre Vergewaltigung schuld daran war, allerdings machte
ihn die Vorstellung verrückt, mit ihr zu schlafen.
    Er kam einen Schritt näher, doch Anne-May wich mit
einem wissenden Lächeln zurück und ließ auch diesen Annäherungsversuch ins
Leere laufen.
    Sie setzte sich auf den Schemel, die Zigarette im
Mundwinkel. Auf einmal wirkte sie gut gelaunt. „Hey, Frankie-Boy, wenn du ein
Song wärst, was für einer wärst du?“
    „Ich
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