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Fast ein bisschen Frühling - Capus, A: Fast ein bisschen Frühling

Fast ein bisschen Frühling - Capus, A: Fast ein bisschen Frühling

Titel: Fast ein bisschen Frühling - Capus, A: Fast ein bisschen Frühling
Autoren: Alex Capus
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mich hinter dem Polizeikordon für einige Zeit auf die Wiese.«
     
    *
     
    Dorly liegt im spröden Gras vom letzten Sommer und sieht hinauf in den Nachthimmel, den der Westwind aufgerissen hat; die Wolkenränder leuchten weiß vom Licht des Mondes, in den schwarzen Löchern dazwischen blinken ein paar Sterne. Am Rand des Parks steht hinter jedem Baum ein uniformierter Polizist. Jeder trägt einen Stahlhelm auf dem Kopf und ein Gewehr in der Hand, und jeder starrt hinein ins Dunkel des Parks und wartet auf die Dämmerung. Von Zeit zu Zeit huscht ein ziviler Beamter von Baum zu Baum, von Polizist zu Polizist, und gibt flüsternd Anweisungen. Einer wird auf Dorly aufmerksam und kommt auf sie zu. Es ist der Erste Staatsanwalt, Doktor Stephan Hungerbühler. Er weist Dorly darauf hin, dass der Boden gefroren sei und sie sich den Tod hole, nimmt sie an der Hand und versucht sie hochzuziehen. Aber Dorly entwindet ihm die Hand und bittet ihn, sie noch einen Augenblick liegenzulassen. Darauf verschwindet der Staatsanwalt und kehrt mit zwei Wolldecken zurück. Eine breitet er neben Dorly aus, die zweite legt er am Kopfende bereit.
    »Um nicht undankbar zu erscheinen, ließ ich mich auf der einen Decke nieder und breitete die andere über mir aus. Wenige Augenblicke später fielen ganz kurz nacheinander zwei Schüsse; ich glaubte im ersten Moment sogar, dass es nur einer sei. Die Schüsse fielen vielleicht zehn oder fünfzehn Minuten nach meiner gehabten Unterredung mit Sandweg und Velte. Die Schüsse erschütterten mich stark; dies nicht etwa nur wegen meiner platonischen Liebe zu Velte und der Freundschaft zu Sandweg, sondern grundsätzlich wegen des Gedankens, dass in meinem Beisein Bleikugeln gegen Menschen abgefeuert wurden.«
    Dorly Schupp zieht sich die Decke über den Kopf, dreht sich zur Seite und zieht die Knie an. Die vorbeigehenden Beamten betrachten das Bündel Mensch unter der Decke mit hochgezogenen Brauen, verlangsamen ihre Schritte und gehen dann rasch weiter. In der Stadt schlägt die erste Kirchturmuhr Mitternacht, dann stimmen alle anderen Kirchturmuhren ein. Als es wieder still ist, fallen erneut zwei Schüsse. Diesmal sind es eindeutig zwei Schüsse. Ein Schuss, Stille, dann noch ein Schuss.
    »Nach den neuerlichen Schüssen war ich mit meinen Kräften am Ende. Ich stand auf, faltete die Decken zusammen, brachte sie dem nächststehenden Beamten und bat darum, nach Hause gefahren zu werden. Dieser Wunsch wurde mir umgehend gewährt. In meinem Zimmer ließ ich mich aufs Bett fallen, ohne dass ich vorgängig Schuhe und Mantel ausgezogen hätte, und verfiel in einen tiefen Erschöpfungsschlaf, aus dem ich erst am Nachmittag des folgenden Tages erwachte. In den ersten Minuten erinnerte ich mich kaum an die Ereignisse der vergangenen Nacht, und als ich sie endlich präsent hatte, erschien mir alles ganz unwirklich.«
     
    *
     
    »Au, die Polizei!« hatte Kurt gerufen, und dann waren die beiden in die Tiefe des Parks geflohen, Kurt mit der Pistole in der Hand, Waldemar das Brot fest an die Brust gepresst. Außer Sichtweite, hatten sie sich auf eine Parkbank fallenlassen, und Waldemar hatte noch einmal sein Wachstuchheft zur Hand genommen.
     
    »lb. Dorly! Verzeih, wenn ich Dir das antun musste. Wir haben das Rechte gewollt. Die Welt ist zu schlecht für uns. Begrabt mich auf dem Hörnli. Kurt grüßt auch. So war es also das letzte Mal, dass ich auf dieser Welt in Deinen Armen lag. Wir sehen uns wieder. In dem Maße, wie uns die anderen schlechtheißen, waren wir gut. Auf Wiedersehen, mein Letztes, lebe wohl! Wir zwei gehören zusammen. Du größtes Glück meines Lebens. Einziger Sonnenschein für mich.«
     
    Während einen Steinwurf entfernt der Staatsanwalt neben Dorly Schupp eine Wolldecke ausbreitet, stehen Sandweg und Velte von der Parkbank auf. Dorly nimmt auf der Decke Platz, Kurt und Waldemar ziehen ihre Pistolen aus den Manteltaschen und halten sie einer dem anderen an die rechte Schläfe. Dorly breitet die zweite Wolldecke über sich aus. Waldemar und Kurt zählen bis drei und drücken ab. Dabei ist Waldemar Velte einmal mehr eine Spur entschlossener, aufs Ganze zu gehen.
     
    »Es ist genau fünf Minuten nach Mitternacht. Mein Kopfschuss sitzt nicht. Ich habe Kurt noch einen dazu und einen Herzschuss gegeben.«
     
    Als Dorly Schupp die Wolldecken faltet und ins Polizeiauto steigt, sitzt Waldemar wieder auf der Parkbank, Sandwegs zuckenden Körper zu Füßen, das in Zeitungspapier gewickelte Brot
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