Familienpoker: Vijay Kumars vierter Fall (German Edition)

unentdeckt. Darüber hinaus wollte ich als Detektiv mit der Polizei nur das Allernotwenigste zu tun haben, das war aber eher ein Grundsatz.
    »Gibt es außer den Anwesenden weitere Zeugen dafür?«
    »Armin Zumbrunnen, der Bauer, dem die Scheune gehörte.«
    »Er wird sich wohl für eine Aussage herbemühen müssen.«
    »Großartig!«
    Der Beamte musterte Miranda misstrauisch, während er sich eine Notiz machte, und ich war erleichtert, als das Gespräch endlich beendet war.
    »Was macht ihr mit dem Erlös?«, erkundigte ich mich, als wir endlich draußen vor dem Polizeigebäude standen.
    »Mit welchem Erlös?«, gab sich Joana ahnungslos.
    Vielsagend hob ich die Augenbrauen.
    »Erst wird mal ausgiebig geshoppt«, erklärte Miranda. »Aber das Hauptziel ist nach wie vor das Nudelsuppenrestaurant. Mit dem unerwarteten finanziellen Zustupf könnte mein Traum plötzlich wahr werden.«
    »Unser Traum«, berichtigte Joana sie grinsend.
    Mit einem Schnauben schlossen sich die Türen und der Zug fuhr an. Aus meinen Gedanken gerissen, blickte ich nach oben und entdeckte Noemi an einem Fensterplatz. Mit banger Miene hob sie die Hand zum Abschied und ich winkte zurück, bis die rot glühenden Schlusslichter des letzten Wagens in der Ferne verschwunden waren.
    Einem plötzlichen Bedürfnis folgend, langte ich in meine Hosentasche, holte das samtblaue Kästchen hervor und klappte es auf. Der Saphir leuchtete tiefblau und die Diamanten glitzerten wie winzige Sterne. Gestern Abend beim Essen in der Wine Loft war ich nur um Haaresbreite davon entfernt gewesen, um Manjus Hand anzuhalten. Ich hatte meine Finger bereits fest um die Schachtel geschlossen gehabt, geschwitzt und zu stottern begonnen, im letzten Augenblick aber hatte ich den Ring in meiner Jacketttasche stecken lassen. Irgendwie hatte es sich nicht richtig angefühlt. Ich war noch nicht reif für diese neue Stufe in unserer Beziehung.
    José hatte recht gehabt: Sex durfte wirklich nicht der Grund sein, jemanden zu heiraten. Aber mir war bewusst geworden, wie wichtig mir Manju war und wie gut wir zusammenpassten. Doch zu Liebe und Respekt gehörte auch die Bereitschaft zu warten. Und genau das hatte ich vor. Ich klappte das Kistchen zu und steckte den Ring wieder ein. Er hatte kein Verfallsdatum. Wenn der richtige Zeitpunkt gekommen war, würde ich ihn wieder hervorholen.
    Versonnen blickte ich auf die leeren Gleise. Die Luft flirrte in der Hitze dieses Junitags und meine Gedanken kehrten zu Noemi zurück, die gerade die wohl schwierigste Reise ihres Lebens angetreten hatte. Erst zum Vater, zu einem späteren Zeitpunkt dann zu ihrer Mutter.
    Ich schlenderte zu meinem Käfer zurück und schnippte dabei die Zigarette weg, als mir plötzlich Mirandas Worte auf der Alp einfielen: Man sollte vorsichtig sein mit seinen Wünschen. Denn manchmal gingen sie in Erfüllung.

Glossar
    Apéro – Genuss alkoholischer Getränke vor dem Abendessen oder Weggehen, manchmal auch anstelle von.
    bünzlig – kleinkariert. In der Schweiz sind das immer die anderen.
    hängig – unerledigt, sich in Arbeit befindend
    HSG – Hochschule St. Gallen für Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften sowie Internationale Beziehungen. In Gesprächsrunden erwähnen HSG -Absolventen ihre Ausbildung meist betont beiläufig. Aber erwähnt wird sie in jedem Fall.
    Platzspitz – Grünanlage in der Nähe des Zürcher Hauptbahnhofes, die in den Neunzigern als Treffpunkt der offenen Drogenszene traurige Berühmtheit erlangte; heute vor allem Ausgangspunkt für die Limmatschifffahrten chinesischer Reisegruppen.
    Rauchhamme – Rauchschinken
    Rivella – kohlensäurehaltiges Schweizer Erfrischungsgetränk auf Milchsäurebasis; gewöhnungsbedürftig für Nicht-Schweizer. Wird gerne bei Wanderungen, Erster-August-Feiern und anderen patriotischen Anlässen konsumiert. In den Sorten Rot, Blau und Grün erhältlich.
    Straßenbord – Straßenrand
    Täfer – Täfelung. Wird zur Erzeugung heimatseliger Atmosphäre verwendet; wirkt in städtischen Lokalen aufgesetzt, auf dem Land meint man das ernst.
    urchig – bodenständig. Grundsätzlich ist der Begriff von der größten Rechtspartei der Schweiz besetzt.
    Zustupf – kleine finanzielle Zuwendung