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Falkengrund Nr. 33

Falkengrund Nr. 33

Titel: Falkengrund Nr. 33
Autoren: Martin Clauß
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Trockenzeit, überall. In dunkelrote Gewänder gehüllte Menschen mit tiefschwarzer Haut kamen herbei und fragten ihn nach seinem Namen.
    Als er ihre Neugier befriedigt hatte, versuchte er einem vollkommen betrunkenen jungen Mann das Gewünschte abzukaufen, der vor seiner Hütte schnarchte, doch als der nicht wach zu kriegen war, stopfte er das Geld einfach in die Tasche des Schlafenden, bediente sich selbst an dem Wein und kehrte damit in die Schamanenhütte zurück. Eweji nahm einen Schluck, mit dem er den Becher zu zwei Dritteln leerte. Enene nippte nur.
    „Auch die Europäer wissen von den Orishas und den Eguns . Sie nennen sie Engel und Geister. Sie wissen, dass die Menschen im Tod auf die andere Seite wechseln. Sie haben andere Namen für diese Sachen, und ihre Geschichten unterscheiden sich von den unseren, doch im Grunde ähnelt sich ihr und unser Wissen. Es hat mir in Europa sehr geholfen, ein Yoruba zu sein. Viele Europäer kennen nur Aye , die Welt der Lebenden. Nur schwer lassen sie sich davon überzeugen, dass Orun , die Welt der Ahnen, ebenfalls existiert. Sie glauben nur, was sie sehen – und manchmal glauben sie nicht einmal das.“
    Bis zu diesem Punkt war Enene ruhig gewesen. Nun wurde er nervös.
    „Seit kurzem geschieht etwas, was ich nicht erklären kann. Wir haben von … Schatten gehört. Schwarze Schemen sind es, die sich ruckartig bewegen und ein Geweih auf dem Kopf tragen.“
    „Hast du sie selbst gesehen?“ Mit einem letzten, entschlossenen Schluck leerte der Greis den Becher, und seine fleckige graue Zunge leckte über die Lippen.
    „Nein. Menschen aus meiner Schule haben sie gesehen. Sie sagen, diese Schatten scheinen nicht in unsere Welt zu gehören. Nicht in unsere … unsere Wirklichkeit.“ Sie sprachen Yoruba, und Enene hatte lange nachdenken müssen, um ein Wort zu finden, das die Bedeutung von „Realität“ hatte. „Es ist nur ein Gefühl, aber ich habe den Eindruck, sie gehören weder zu Aye noch zu Orun …“
    Eweji schüttelte den Kopf, als gelte es, einen Fliegenschwarm zu verscheuchen. „Gehören weder zur Welt der Lebenden noch zur Welt der Toten?“, wiederholte er, was sein Enkel gesagt hatte. „Was redest du da? Was sollte es außer den beiden Welten noch geben? Was für einen Menschen gibt es, der nicht Mann oder Frau ist? Was gibt es für eine Tageszeit außer Tag und Nacht?“
    „Ich weiß es nicht. Vielleicht irre ich mich. Ein Freund erzählte mir, dass etwas von dem Wesen ausging, das beinahe sein Herz zum Stillstand brachte. Er ist ein mutiger, starker Mann, und er sagt so etwas nicht leichtfertig dahin.“ Er sprach von Georg, der in einem Keller für wenige Augenblicke einem der Schatten gegenübergestanden hatte. „Dieser Mann sagte, das Wesen sei durch und durch fremd gewesen. Fremder als alles in dieser oder der anderen Welt.“
    „Dein europäischer Freund hat zu tief ins Glas geschaut“, entfuhr es dem Alten. Doch dann winkte er ab. „Schon gut. Wir werden das Ifa befragen.“ Das Ifa war das Orakel der Yoruba, Mittelpunkt ihres Lebens. Es antwortete immer, ganz gleich, wie schwierig die Frage war. Eweji war nicht nur Schamane, er war auch ein Babalawo , ein Orakelpriester.
    „Dann hast du von diesen Schatten noch nie gehört?“, hakte Enene nach.
    Eweji stellte missmutig den leeren Becher ab. „Unsere Welt ist voller Schatten. Sollten wir deshalb anfangen, ihnen allen Namen zu geben?“

3
    Ekson verließ die gelb gestrichene Villa durch den Hinterausgang. Im Garten begegnete er Sunday, einem kleinen, gedrungenen Einheimischen, den sie als Koch eingestellt hatten. „Stromausfall“, brummte Ekson schulterzuckend. „Schon das dritte Mal heute.“
    „Aller guten Dinge sind drei“, lachte der Afrikaner, der eben ein paar Hühnerköpfe in den Abfall geworfen hatte. Konnten Hühnerköpfe grinsen? Wenn Sunday sie in der Hand hielt, taten sie das. „Sagt man so nicht in Europa?“
    Ekson biss schweigend die Zähne zusammen. Bei Stromausfall sank seine Laune grundsätzlich bis nahe an den Gefrierpunkt, und wenn dann noch einer seiner schwarzen Hausangestellten meinte, kluge Sprüche klopfen zu müssen, stieg ein solcher Zorn in ihm auf, dass er am liebsten etwas kaputtgemacht hätte. Natürlich nur Dinge, keine Menschen. Er gehörte nicht zu den Weißen.
    Johan Ekson war Schwede und alles in allem kein untypischer Europäer. Viele gaben sich in Afrika wie er – fair und korrekt, wenn es um die Entlohnung und Arbeitszeiten des einheimischen
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