Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Falkengrund Nr. 29

Falkengrund Nr. 29

Titel: Falkengrund Nr. 29
Autoren: Martin Clauß
Vom Netzwerk:
erst von wenigen Tagen ein Erlebnis gehabt, das ihn völlig vereinnahmte. Er war Philipp Poster begegnet, einem Mann, der vor Jahren angeblich etwas Eigenartiges mit ihm angestellt hatte – er hatte seinen Beschützerinstinkt verstärkt, diesen zu seinem leitenden Charakterzug gemacht. Dieser Poster wollte die Macht dazu angeblich von den Schatten erhalten haben – jenen rätselhaften Wesen, die Melanie und Madoka in Japan gesehen hatten.
    Zudem hatte Georg im Keller von Posters Villa einem dieser Schatten gegenübergestanden, zwar nur für wenige Augenblicke, aber seither redete er von nichts anderem. Die Begegnung mit diesem fremden Wesen hatte einen tiefen Eindruck bei ihm hinterlassen, und noch mehr hatte ihn die Tatsache beeindruckt, dass der Schatten ihm offenbar freundlich gesinnt war. Es schien, als habe er Georg vor den Angriffen Posters und seiner Sklaven beschützt. Am liebsten hätte Georg ein großes Treffen einberufen und seine Erfahrungen mit allen durchdiskutiert.
    Obwohl Georg noch mehr über die geheimnisvollen Schattenwesen berichten konnte als Melanie und Madoka und obwohl das Thema von enormer Wichtigkeit war, kam es vorerst nicht zu einer solchen Versammlung. Melanie, die ihre Beobachtungen mit den seinen hätte abstimmen können, war nicht anwesend. Margarete und Werner hatten, jeder für sich andere Sorgen, und so stand Georg mit seinen faszinierenden Neuigkeiten alleine da, und niemand interessierte sich so recht dafür. Es geschah einfach zu vieles gleichzeitig.
    Dazu kam noch etwas: Georg hatte vor den auf Falkengrund verbliebenen Menschen ein Geständnis abgelegt. Der Mann, der Dr. Konzelmann brutal zusammengeschlagen hatte, war er selbst gewesen. Der überdimensionale Beschützerinstinkt in ihm hatte ihn dazu getrieben – er hatte versucht, Sanjay vor weiteren Übergriffen des vermeintlichen Übeltäters zu bewahren.
    Das Geständnis hatte eine verstörende Wirkung auf alle. Man war nicht fähig, darüber zu reden, obwohl Georg das Gespräch suchte. Der glatzköpfige Hüne wurde gemieden. Selbst der Rektor ging ihm aus dem Weg, wusste nicht, worüber er mit ihm reden sollte. Am schlimmsten war, dass niemand ihm Vorwürfe machte. Sie waren alle wie gelähmt, überfordert von der immer komplizierter werdenden Situation. Dr. Konzelmann zeigte sich über die Weihnachtstage nicht auf dem Schloss und war auch telefonisch nicht zu erreichen.
    Dorothea und Jaqueline machten am ersten Weihnachtsfeiertag einen kleinen Spaziergang am Waldrand entlang. Es hatte in der Nacht ein wenig geschneit, doch das Wetter blieb unschlüssig, und der Schnee taute bereits wieder. Sogar das Wetter war kompliziert. Mit klatschenden Schritten gingen sie durch die grauweiße Landschaft, ihre Winterjacken nicht ganz geschlossen. Ein beinahe fönartiger Wind jagte in kurzen, kräftigen Böen über das Land. Am Himmel kreisten ein paar Raubvögel und schienen sich wohl zu fühlen.
    Jaqueline fand es nach wie vor irritierend, wie ihr Geist auf Dorothea reagierte. Die meiste Zeit über registrierte sie ihre Anwesenheit, wusste, wer sie war und wie sie hieß, doch immer wenn sie sich in komplizierten Überlegungen verstrickte, schien ihr Gehirn an Grip zu verlieren, und für einige Sekunden verschwand das Gesicht und der Name der Schülerin aus ihren Gedanken, entglitt ihr förmlich. Obwohl Dorothea ihre psychische Unsichtbarkeit nahezu verloren hatte, war sie noch immer nicht ganz ein Teil der wahrnehmbaren Realität. Für die Menschen in ihrer Umgebung ein Gefühl, an das man sich nur schwer gewöhnte.
    „Wie bringen wir diese Katze zum Reden?“ Jaqueline formulierte den Gedanken, wie sie ihn dachte. Erst als sie ihre eigenen Worte hörte, fiel ihr auf, wie absurd sie waren.
    „Katzen bringt man zu gar nichts, was sie nicht selbst wollen“, bemerkte Dorothea. „Und warum sollte sie uns das Versteck zeigen wollen?“
    „Für ein Brekkie vielleicht?“
    „Ehrlich gesagt, ich glaube nicht, dass eine Katze, die durch Wände gehen kann, sich um Nahrung Sorgen zu machen braucht. Sie kann alle Näpfchen der Nachbarschaft leer futtern. Sie hat sozusagen freie Auswahl.“
    „Du hast recht“, gestand Jaqueline. „Vielleicht interessiert sie sich für etwas ganz anderes.“
    „Und was soll das sein? Wir wissen nicht einmal, was genau sie ist.“
    Jaqueline erkannte, dass das Gespräch sie so nicht weiterbrachte. Sie brauchten einen anderen Ansatz. Stumm dachte sie die Mittel durch, die ihnen zur Verfügung standen. Sie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher