Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ewigkeit

Ewigkeit

Titel: Ewigkeit
Autoren: Alastair Reynolds
Vom Netzwerk:
aber das werden wir erst in ein paar Tagen wissen.«
    »Das kann doch alles nicht wahr sein!«, sagte Auger. Sie kam sich vor, als würde sie bei diesem Gespräch nur zuschauen. »Es war nur ein Exkursion. Niemand hätte sterben sollen.«
    »Jetzt lässt sich das leicht sagen.« Er beugte sich zu ihr hinüber, sodass sie seinen Atem riechen konnte. »Glauben Sie ernsthaft, dass wir so etwas deckeln können? Wir haben jetzt schon das Übertretungsministerium im Nacken. In letzter Zeit hat es eine Menge übler Missgeschicke unten auf der Erde gegeben, und es heißt, dass man es langsam für angebracht hält, ein Exempel zu statuieren, bevor jemand eine echte Dummheit begeht.«
    »Das mit dem Jungen tut mir Leid«, sagte Auger.
    »Ist das ein Schuldeingeständnis, Auger? Wenn ja, würde es die Angelegenheit insgesamt sehr viel einfacher machen.«
    »Nein«, antwortete sie stockend. »Das ist überhaupt kein Eingeständnis von irgendwas. Ich sage nur, dass es mir Leid tut. Hören Sie – kann ich mit den Eltern reden?«
    »Auger, im Moment dürften Sie der letzte Mensch im Sonnensystem sein, mit dem seine Eltern reden wollen.«
    »Ich will sie nur wissen lassen, dass es mir nicht egal ist.«
    »Das hätten Sie sich überlegen sollen, bevor Sie für ein einziges wertloses Artefakt alles riskiert haben«, sagte Da Silva.
    »Das Artefakt ist nicht wertlos«, gab sie schroff zurück. »Ganz gleich, was da unten passiert ist, es war das Risiko in jedem Fall wert. Jeder, der sich mit Antiquitäten auskennt, würde Ihnen das Gleiche sagen.«
    »Soll ich ihnen die Zeitung zeigen, Auger? Würde ihnen das gefallen?«
    Da Silva hatte sie in seine Jackentasche gestopft. Er zog sie heraus und überreichte sie Auger. Sie nahm sie mit zitternden Fingern entgegen und spürte, wie all ihre Hoffnung in einem einzigen Augenblick vernichteter Enttäuschung verpuffte. Die Zeitung war – genauso wie der Junge – gestorben. Die Druckerschwärze war verwischt, Zeilen rannen ineinander wie Zuckergussmuster auf einem Kuchen. Sie war bereits jetzt völlig unleserlich. Die Illustrationen und Werbeanzeigen waren erstarrt, ihre Farben so sehr ineinander verlaufen, dass sie wie Kleckse abstrakter Kunst aussahen. Der kleine Motor, der das intelligente Papier mit Energie versorgte, musste auf der letzten Reserve gelaufen sein, als sie die Zeitung aus dem Auto geholt hatte.
    Sie gab ihm das nutzlose Ding zurück, das all ihre Anstrengungen verhöhnte.
    »Ich scheine in Schwierigkeiten zu stecken, nicht wahr?«

 
Drei
     
     
    Floyd bog mit dem Mathis in eine schmale Seitenstraße zwischen hohen Mietshäusern ab. Er war seit Jahren nicht mehr in der Rue des Peupliers gewesen, und in seiner Erinnerung bestand sie aus geborstenem Asphalt, vernagelten Läden und schmuddeligen Pfandleihern. Inzwischen war die Straße sauber asphaltiert, und bei den geparkten Autos handelte es sich durchweg um blitzblanke 50er-Jahre-Modelle, tiefliegend und kraftvoll wie lauernde Panther. Die frisch gestrichenen Laternenpfähle glänzten im elektrischen Licht. Die Geschäfte im Erdgeschoss wirkten allesamt dezent und hochklassig: Uhrmacher, Antiquariate, exklusive Juweliere, ein Geschäft für Landkarten und Globen, eins, das auf Füllfederhalter spezialisiert war. Als der Nachmittag zum Abend wurde, malten die Schaufenster einladende helle Lichtrechtecke auf den dunklen Bürgersteig.
    »Da wäre Nummer dreiundzwanzig«, sagte Floyd und hielt auf einem Parkplatz neben dem Wohnhaus, das Blanchard als Adresse angegeben hatte. »Hier muss sie gestürzt sein«, fügte er hinzu und machte eine Kopfbewegung in Richtung eines Stücks Bürgersteig, das offensichtlich vor kurzem gesäubert worden war. »Muss von einem der Balkone über uns gewesen sein.«
    Custine blickte aus dem Seitenfenster. »Da ist nirgendwo ein beschädigtes Geländer. Es sieht auch nicht so aus, als wäre eins in letzter Zeit ersetzt und neu gestrichen worden.«
    Floyd streckte die Hand nach hinten, und Custine reichte ihm Notizbuch und Filzhut. »Wir werden sehen.«
    Als sie ausstiegen, trat ein kleines Mädchen in abgewetzten schwarzen Schuhen und fleckigem Kleid aus dem Haus auf die Straße. Floyd wollte der Kleinen gerade zurufen, dass sie die Tür nicht zufallen lassen sollte, aber als er ihr Gesicht sah, blieben ihm die Worte im Hals stecken. Selbst im schwindenden Tageslicht war eine Ahnung von Entstellung oder Sonderbarkeit zu spüren. Er beobachtete, wie sie über die Straße davonrannte und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher