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Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman

Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman

Titel: Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman
Autoren: Constanze Petery
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wahr?
    Man platziert sich auf einen Barhocker, indirekt beleuchtet wie eine Plastik in einer Museumshalle, wenn das durch Rauch gefilterte Licht sich im Spiegel hinter einem bricht. Man klimpert mit den Armreifen und hält das Glas in dem Winkel, der die Schmalseite des Handgelenks am besten zur
Geltung kommen lässt. Man wartet auf die Glühwürmchen, die glänzenden Augen eines Jungen an der anderen Seite der Theke, die meine Fesseln entlangflattern, die samtigen Waden hoch in den Rocksaum, wo ich sie auffange und in mein Gesicht zwinge.
    »Hi, wartest du hier auf jemanden?«, fragt er dann.
    Auf dich. Auf das Leben. Auf niemanden.
    Er rutscht von seinem Barhocker, kommt herüber, und ich muss seine driftenden Blicke wieder aus meinen Privatregionen holen.
    »Wo gehst du heute noch hin?«
    Er kennt die Pflicht des Vortrinkens genauso gut wie ich. Er ist Teil des eingeweihten Zirkels. Der Name eines bekannten Clubs muss her, um ihn zu beeindrucken. Ich nenne nicht den Erstbesten, der mir in den Sinn kommt, sondern den Besten.
    »Und dahin gehst du ganz allein?«
    Vielleicht. Wer weiß das denn jetzt schon?
    Aber Blicke können nur im Dämmerlicht glühen, und Cocktails sind außerhalb der Happy Hour zu teuer. Deshalb muss man sogar auf dieses zelebrierte Warten warten. Von zwölf Uhr morgens bis sieben Uhr abends mindestens. Sieben leere Stunden. Sieben Stunden Leere.
    Schule? Ja, eigentlich müsste ich in die Schule. Müsste aufstehen, bevor die Sonne aufgeht, und mich mit kaltem Wasser aufwecken. Müsste entscheiden, was ich anziehen soll, um die Modemeute stilvoll anzuführen, bevor die Synapsen
meines Gehirns überhaupt zu funken anfangen. Müsste hinausgehen, die verlassene Straße hinunter und um die Ecke an einer Bäckerei vorbei, wo die einzigen Menschen stehen, die an solchen langsamen Morgen unvernünftig genug waren, ihre Bettdecken zurückzuschlagen und den Tag zu beginnen. Die einzigen, außer den Schülern. Die in Strömen aus U-Bahn-Schächten und Blechbussen drängen, Schlangen von geklonten Teenagern vor Rolltreppen und Fahrkartenautomaten. Manche bleiben stehen, halten die Stampede auf, um vor einem wichtigen Test noch einmal einen letzten Blick in ein Heft zu werfen, um einen heißen Kaffee zu kaufen und in sich hineinzustürzen und um auf ihre Freunde zu warten. »Hi, wie geht’s?«
    Der Aufruf zum Tanz. Die Menge teilt sich vor den Treppen, die zur Schule führen, die Gruppierungen, die die Verkehrsmittel zusammengestellt haben, lösen sich, eben noch saßen die Schüler, Lederjackenjungen und Flipflopmädchen, eng nebeneinander, wurden ihre Schultern und Schenkel an den Haltestellen gegeneinandergeschleudert in Bus, U-Bahn oder S-Bahn, eben noch wurden sie als ein Körper von den Türen in die Stadt gespien, eben noch war man eine Bewegung, ein einziger Tanz, unbekümmert, wen man berührte, ob man ihn kannte und ob er demselben Stand angehörte.
    Jetzt hört der Spaß auf, und ein Schlachtgesang hebt an. Zwei Jungen begrüßen sich mit dem Handschlag der Gladiatoren, Stoß, Stoß, die Fäuste gegeneinander und im Augenwinkel die Mädchen, die mit ihren spitzen Lippen der besten Freundin eine Bemerkung zustecken, die diese nie vergessen wird, denn sie war tödlich, eine ironische Hebung, und das Opfer verblutet innerlich. Einer traut sich und fragt seine zukünftige Braut nach der Mathehausaufgabe,
obwohl er sie hat und sie nicht, beide wissen es, und sie ersticht ihn mit Ignoranz. Da ruft jemand einen Insiderwitz in die Runde, und die Leichenberge wachsen, es kann keine Sieger geben, wenn man aus der Hüfte schießt. Nur Verlierer vor der Schule, in der Schule, nur begrabene Illusionen und Knicke in der Psyche, das unweigerliche Ergebnis des Brunsttangos, Reviermarkierung mit Worten und Blicken.
    Deshalb bin ich nicht in der Schule.
    Ihr Lieben, ich bin nun einmal ein Sieger, der Sieger, die Siegerin eurer Herzen. Ich würde dort nicht hinpassen. Nicht mehr. Nicht mehr, seit …
    Nein, es gibt ja auch viel spannendere Dinge, die man tun kann, bis es angebracht ist, mit dem Vortrinken anzufangen, in meiner Stadt, in meinem Leben, meinem Körper, o ja.
    Wenn ich aufwache, lache ich. Ich lache laut und stolz, denn es ist wieder ein Tag für mich, alles für mich und ich für alle, nicht wahr?
    Falsch. Zu falsch.
    Wenn ich aufwache in der Höhle aus Bettdecke und Matratze, spüre ich jeden Teil meines Körpers, spüre den Abdruck, den er auf der Matratze hinterlassen hat. In meiner warmen Höhle
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