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Eugénie Grandet (German Edition)

Eugénie Grandet (German Edition)

Titel: Eugénie Grandet (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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Tonfall, »willst du das für deine zwölfhundert Francs?«
    »O mein Vater, wirklich, geben Sie sie mir?«
    »Ich werde dir nächstes Jahr ebensoviel geben«, sagte er, sie ihr in den Schoß werfend. »Auf diese Weise wirst du in Kürze all seine Schmuckstücke haben«, fügte er händereibend hinzu – glücklich, auf die Sentimentalität seiner Tochter spekulieren zu können.
    Dennoch fühlte der Greis, obschon er noch rüstig war, die Notwendigkeit, seine Tochter in die Geheimnisse des Haushalts einzuführen. Während der zwei folgenden Jahre ließ er sie in seinem Beisein den Speisezettel des Tages bestimmen und die Pachtgelder in Empfang nehmen. Er lehrte sie allmählich die Namen und den Umfang seiner Weingüter und seiner Meiereien kennen. Im dritten Jahre hatte er sie so gut an seine geizigen Manipulationen gewöhnt, hatte sie ihr selbst so ganz und gar zur Gewohnheit gemacht, daß er ihr ohne Besorgnis die Schlüssel der Vorratskammern anvertraute und sie im Hause als Herrin schalten ließ.
    Fünf Jahre gingen hin, ohne daß sich in dem einförmigen Dasein Eugénies und ihres Vaters irgend etwas ereignete. Dieselben Handlungen geschahen zur selben Zeit mit der Regelmäßigkeit der alten Uhr im Haus.
    Die tiefe Melancholie von Mademoiselle Grandet war für niemanden ein Geheimnis; trotzdem aber ein jeder die Ursache erriet, so bestätigte doch niemals ein Wort aus ihrem Munde die Vermutungen, die alle Kreise Saumurs sich über den Herzenszustand der reichen Erbin gebildet hatten.
    Ihre einzige Gesellschaft bestand aus den drei Cruchots und einigen ihrer Freunde, die sie allmählich im Hause eingeführt hatten. Sie hatten ihr das Whistspiel beigebracht und kamen alle Abende zu diesem Spiel zusammen.
    Im Jahre 1827 sah ihr Vater, den allerlei Altersgebrechen befielen, sich genötigt, sie in die Geheimnisse seiner Liegenschaften einzuweihen, und er riet ihr, sich in schwierigen Fällen an Cruchot, den Notar, zu wenden, von dessen Redlichkeit er überzeugt war. Dann, gegen Ende dieses Jahres, wurde der Biedermann endlich, im Alter von zweiundachtzig Jahren, von einer Paralyse ergriffen, die schnelle Fortschritte machte. Monsieur Bergerin gab ihn verloren.
    Bei dem Gedanken, daß sie bald allein in der Welt stehen würde, schloß sich Eugénie gleichsam inniger ihrem Vater an. Ihr, wie allen liebenden Frauen, war die Liebe alles, und Charles war nicht da. Wahrhaftig groß zeigte sie sich in der Pflege ihres alten Vaters, dessen Geisteskräfte nachzulassen begannen, dessen Geiz aber instinktiv derselbe blieb.
    So unterschied sich der Tod dieses Mannes gar wenig von seinem Leben. Seit dem frühen Morgen ließ er sich zwischen dem Kaminplatz seines Zimmers und der Tür zu seinem Geheimkabinett, das sicher voller Gold steckte, hin und her fahren. Da saß er dann, ohne sich zu rühren; aber voll Spannung und Ängstlichkeit blickte er abwechselnd auf alle, die zu ihm kamen, und auf die eisenbeschlagene Tür. Über das geringste Geräusch, das ihm zu Ohren kam, verlangte er Aufschluß, und zum großen Erstaunen des Notars vernahm er sogar das Bellen des Hofhundes. Am Tag und zur Stunde, da es den Pachtzins in Empfang zu nehmen, mit den Winzern abzurechnen, Quittungen auszustellen galt, erwachte er aus seinem augenscheinlichen Stumpfsinn. Er lenkte dann selber seinen Rollstuhl, bis er der Tür zu seinem Geheimkabinett gegenüberstand. Seine Tochter mußte sie öffnen, und er wachte darüber, daß sie eigenhändig die Geldsäcke aufeinanderstapelte, daß sie die Tür sorgfältig abschloß. Sobald sie ihm den kostbaren Schlüssel wieder abgeliefert hatte, den er in seine Westentasche versenkte und von Zeit zu Zeit betastete, wurde er wieder ruhig und ließ sich an den gewohnten Platz zurückschieben. Sein alter Freund, der Notar, der wohl voraussah, daß die reiche Erbin, falls Charles Grandet nicht wiederkam, notgedrungen seinen Neffen, den Präsidenten, heiraten werde, verdoppelte seine Fürsorge und Aufmerksamkeiten: er kam alle Tage, um sich den Wünschen Grandets zur Verfügung zu stellen, begab sich auf seinen Befehl nach Froidfond, auf die Felder, die Wiesen, die Weingüter, verkaufte die Ernten und machte alles zu Gold und Silber, das heimlich den Säcken einverleibt wurde, die im Kabinett aufgestapelt waren.
    Dann kamen die Tage der Agonie, da die eiserne Gesundheit des Geizhalses der Zerstörung zur Beute fiel. Bald wollte er, zur Seite des Kamins beim Feuer sitzen bleiben, bald wieder vor der Tür seines
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