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Esswood House

Esswood House

Titel: Esswood House
Autoren: Peter Straub
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er gerade entronnen war. Er sollte noch rund weitere hundert Meilen auf der Autobahn zurücklegen, dann müßte ein Schild kommen, das den Weg nach Huckstall wies, dem Dorf, wo er die nächste Straße nehmen mußte. Weiteren Kreisverkehren würde er nicht mehr trotzen müssen. Standish fädelte sich wieder in den Verkehr ein.
    Als er die Landschaft wieder zur Kenntnis nahm, war sie erstaunlich leer. Eine Zeitlang, nachdem er den Flughafen verlassen hatte, hatte Standish grüne Felder beiderseits der Autobahn bemerkt. Die Felder wurden von Gruppen von Reihenhäusern unterbrochen, die mit ihren zahlreichen Fenstern zu den Autos herüberzuschauen schienen. Dann hatte er nicht mehr darauf geachtet, was an den Straßenrändern lag. Jetzt lagen keine Reihenhäuser mehr in vornehmer Abgeschiedenheit neben der Autobahn, keine grünen Felder. Bräunliche Büsche standen über das im Mondlicht fast farblose Land verstreut. In weiter Ferne sah Standish eine Gruppe Häuser aus roten Backsteinen. Ein Dorf, überlegte Standish, allerdings nannte kein Ortsschild seinen Namen. Er fragte sich, ob es Huckstall sein konnte.
    Er schaute wieder seitwärts durch das Beifahrerfenster und erblickte ein blasses Gesicht an einer Fensterscheibe im ersten Stock, eine weiße Schliere inmitten von Schwärze, als ob - genau als ob, dachte Standish, um alles in der Welt, so als ob ein Kind in diesem häßlichen einstöckigen Gebäude eingesperrt worden wäre, wo es zwischen roten Backsteinen eingemauert und ewig dazu verdammt war, den Autos nachzusehen, die auf der einsamen Autobahn vorüberfuhren. Ein schwarzes Loch tat sich in der unteren Hälfte der Schliere auf, als würde das Kind Standish etwas zurufen, um Hilfe rufen. Kleinere weiße Flecken, die Hände sein mochten, wurden gegen das Glas gedrückt.
    Voraus und zu seiner Rechten bemerkte Standish etwas, das auf den ersten Blick wie ein flacher schwarzer Hügel aussah. Der Hügel war bar jeglicher Vegetation und schien auf der einsamen Landschaft zu reiten, nicht organisch daraus zu erwachsen. Dahinter überdeckten weitere den halben Horizont. Sie sahen tot aus wie abgestorbene Auswüchse, schwarze blutgetränkte Laken, Handtücher, Wattebäusche, die auf den Boden eines Abtreibungsarztes geworfen worden waren - dann fand er, daß sie wie Müllhalden aussahen.
    Die Luft hatte einen sauren metallischen Beigeschmack, als wäre sie von winzigen Metallspänen erfüllt. Standish passierte den ersten flachen Hügel und sah, daß es sich um eine Halde aus einem Material wie Steinkohlebriketts handelte - steinartige Kohlebrocken. Hin und wieder rieselten Erdrutsche der Brocken an den Hügelflanken herab. Zwischen den schwarzen Hügeln aus Kohle fuhren staubige Männer hier und da mit spielzeugartigen Schaufelbaggern herum. Ringsum von schwarzen Hügeln umgeben, befand sich hier eine Welt von Menschen, die unter Scheinwerferreihen in der schwarzen, trüben Luft herumstapften. Obskure Motoren schwollen an und ab. Gelbe Fackeln loderten neben den schwarzen Hügeln. Schlackehalden , dachte Standish, wußte aber nicht, ob er recht hatte. Was waren Schlackehalden überhaupt?
    Sogar der Himmel wirkte schmutzig. Rhythmisches Scheppern und Pochen wie von unterirdischen Maschinen ertönte. Es war, als führe man mitten durch eine Höllenfabrik ohne Wände und Dach. Standish wurde bewußt, daß er seit vielen Meilen kein Straßen- oder Hinweisschild mehr gesehen hatte. Rings um ihn herum lagen nichts als instabile schwarze Hügel und die staubigen Männer, die zwischen den Fackeln dahinschritten. Standish konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Auto gesehen hatte. Die Straße schien viel zu schmal für die Autobahn zu sein.
    Er beschloß weiterzufahren, bis er ein Straßenschild sah. Wenn er anhalten und aus dem Auto aussteigen würde ... die Männer, die an diesem brutalen Ort arbeiteten, würden ihn nicht verstehen. Beim Lärm der Maschinen und dem Zischen der Brocken, die an den Seiten der schwarzen Hügel herabrollten, würden sie ihn kaum hören können. Die Vorstellung, daß er an diesem trostlosen Ort aus dem Auto aussteigen müßte, schnürte ihm die Kehle zu.
    Die ganze Welt veränderte sich schlagartig. Die lärmende Freiluftfabrik, die schwarzen Hügel, die Lichterketten, die Männer auf Spielzeugbaggern und die winzigen Fackeln blieben einfach zurück, Standish fuhr wieder durch dichtes, leuchtendes Grün. Auf beiden Seiten des Autos ragten hohe, efeuumrankte Bäume empor, ausladende Büsche
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