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Es war einmal eine Frau, die ihren Mann nicht sonderlich liebte

Es war einmal eine Frau, die ihren Mann nicht sonderlich liebte

Titel: Es war einmal eine Frau, die ihren Mann nicht sonderlich liebte
Autoren: Ljudmila Petruschewskaja
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Brief, in dem ihr ein Unbekannter schrieb, er habe Familie und nicht das Recht, wegen eines künftigen Kindes unbekannter Herkunft zwei Kinder zu verlassen. Der Brief trug ein Datum. Die Mutter hatte ihren Mann demzufolge kurz vor der Entbindung verlassen und einen anderen heiraten wollen, was bedeutete, dass sich wirklich alles so verhielt, wie Olegs ältere Schwester einmal, rachsüchtig und bösartig, in einem Gespräch angedeutet hatte. Nachdem der junge Mann diesen Brief entdeckt hatte, sah er systematisch alle Papiere durch und fand einen schwarzen Umschlag mit Fotos, die seine Mutter in den verschiedenen Stadien des Entkleidens zeigten, unter anderem auch nackt. Das alles war wie im Theater fotografiert, in nacktem Zustand hatte die Mutter sogar einen langen Schal um sich drapiert, und das alles war ein harter Schlag für den jungen Mann. Er hatte von Verwandten gehört, dass seine Mutter in ihrer Jugend für ihre Schönheit berühmt gewesen war, doch auf den Fotos war sie bereits eine Frau um die fünfunddreißig, gut gewachsen, doch nicht sonderlich schön, sie hatte sich einfach gut gehalten.
    Nach diesem Schlag schmiss der junge Mann – er war sechzehn Jahre alt – die Schule, er schmiss alles hin und tat zwei Jahre lang bis zur Armee überhaupt nichts, hörte auf niemanden, aß, was im Hause, im Kühlschrank war, verschwand, wenn der Vater und die Schwester heimkamen, und kam wieder, wenn sie schliefen. Bis er völlig erschöpft war und der Vater dank seines Einflusses erwirkt hatte, dass sich Oleg einer Ärztekommission vorstellen musste, die ihm wegen Schizophrenie eine Rente bewilligen sollte, doch in letzter Minute, unmittelbar vor der Untersuchung, starb der Vater nachts in seinem Bett, und alles zerschlug sich. Die Schwester zog aus der Wohnung aus und ließ Oleg allein in seinem Zimmer zurück, und bald darauf ging er zur Armee.
    Dort passierte ihm folgende Geschichte: Man stellte ihn zusammen mit anderen Soldaten an einem Bergpfad auf, an einem Gebirgspass, über den ein flüchtiger Lagerhäftling kommen sollte. Dieser Häftling war schon fast einen Monat in Freiheit, er hatte es geschafft, auf seinem Weg fünf Menschen umzubringen, darunter auch ein junges Mädchen, und nun näherte er sich dem einzigen Bergpass, über den der Weg ins Große Land führte, das heißt in den europäischen Teil. Nach allem, was man wusste, würde der Häftling noch nicht so bald auftauchen, doch der Beobachtungstrupp wurde frühzeitig am Pfad postiert, drei Tage bevor man ihn erwartete, denn wer weiß, was für ein Transportmittel der Flüchtling benutzen würde. Der Trupp bestand aus Oleg, einem Sergeanten und drei weiteren Soldaten, sie saßen hinter einem großen Stein, auf dem sie ihre Maschinenpistolen abgelegt hatten. Sie hielten abwechselnd Wache, und gerade als Oleg an der Reihe war, erschien auf dem Pfad jener Mann, dessen Foto man ihnen vorher gezeigt hatte. Oleg konnte sich nicht zurückhalten und erschoss ihn, und dann stellte sich heraus, dass es ein ganz anderer war, ein Zwangsangesiedelter, der seine Strafe abgebüßt hatte und sich nun, allerdings ebenfalls illegal, nach Hause, nach Russland durchschlagen wollte. Der wirkliche Verbrecher wurde auf einem benachbarten Bergpass gefasst.
    Man behandelte Oleg gut, er wurde als vorübergehend unzurechnungsfähig eingestuft, kam in ein Krankenhaus, und dann wurde er als militärdienstuntauglich ganz aus der Armee entlassen, und er war noch billig davongekommen, denn die Frau des Angesiedelten, so erzählte man, war unentwegt auf der Suche nach jenem übergeschnappten Soldaten, der ihren Mann umgebracht hatte, nur weil der die Grenze des ihm zugewiesenen Siedlungsgebiets um einige Schritte übertreten hatte – entlang des Bergpasses verlief nämlich die Grenze des Verwaltungsgebiets.
    Oleg kehrte nach Hause zurück. Er war schon fast ganz kahl, die Zähne fielen ihm, einer nach dem anderen, aus, er hatte nichts zu essen, und es blieb ihm nichts anderes übrig, als ohne jede Ausbildung arbeiten zu gehen. Doch da trat plötzlich die ältere Schwester in sein Leben, nahm alles in die Hand, brachte Oleg in einer Berufsschule unter, räumte sein Zimmer auf, besorgte Lebensmittel und Geld, obwohl sie nur seine Halbschwester war und ihn früher nie gemocht hatte. Eines Abends, bevor sie ging, sagte sie ganz beiläufig zu ihm:
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