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Es geht uns gut: Roman

Es geht uns gut: Roman

Titel: Es geht uns gut: Roman
Autoren: Arno Geiger
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wenig niedergeschlagen, weil die Möglichkeit, Wissen zu erwerben, auch für sie nachgelassen hat. Oft, wenn sie trotz zunehmender Übung in der Kunst des Weglassens und Einsparens schon am frühen Abend zu nichts mehr zu gebrauchen ist und lediglich das Bedürfnis verspürt, an nichts zu denken, nur still zu liegen, sagt sie zu sich: Das war wieder nicht mein Tag, der sollte bald kommen. Sie sagt es sich auch jetzt: Das war wieder nicht mein Tag, der sollte bald kommen. Gleichzeitig nimmt sie ohne Bitterkeit zur Kenntnis, wie unsinnig ihr Wunsch ist, weil dieser Tag nicht kommen kann, sie wüßte nicht wie und womit. So starrt sie erwartungslos in sich hinein, ohne glücklich oder unglücklich zu sein, ohne recht schlafen zu können, mit einem Gefühl, als ob der Raum um sie herum schaukelte, fern von ihr. Windböen laufen an den Fenstern auf, eine lose Scheibe klirrt leise, eine Viertelstunde später wird Regen gegen das Haus geworfen. Mit klopfendem Herzen und erhitzten Wangen lauscht Alma nach draußen, auf das Prasseln und Gluckern und Brausen und später auf ein dumpfes Grollen, das sich über die anderen Geräusche legt. Dieses Grollen veranlaßt sie aufzustehen, die Deckenlampe zu löschen und durch eines der türhohen Fenster in den Garten zu blicken, auf das Bienenhaus und auf die Bäume, die mit ihren Kronen schwarz gegen schwarz vor den Hintergrund und gegen den Himmel gestemmt sind. Es ist kein Lichtschimmer dort oben. Alma denkt, hoffentlich gibt es nicht wie beim letzten starken Regen kleine Bäche in der Veranda, das hätte noch gefehlt. Sie hatte drei Sachverständige im Haus, und keiner wußte eine wirkliche Lösung ohne einen Umbau im großen Stil. Aber für wen? Für mich? Für mich lohnt es sich nicht, die paar Jahre, die ich noch lebe, wird es schon halten, dann sollen sich andere drum kümmern. Und der dritte Sachverständige bestärkte Alma in dieser Ansicht. Er riet ihr, am besten nichts anzurühren, solange es nicht wirklich ganz arg werde, gegen Schnee, Eis und Hitze fände sich kaum ein wirklich gutes Material (siehe die Frostaufbrüche der Straßen). Seither befürchtet Alma, daß es eines Tages wirklich ganz arg werden wird. Ansonsten, das ist ihre Meinung, soll das Haus ausdienen, mehr wird nicht mehr verlangt.
    Das Gewitter ist herangekommen. Es gießt wie aus Schaffeln. In Abständen von drei, vier Sekunden entladen sich zickzackförmige Blitze, von denen die meisten sich gabelförmig spalten. Die Blitze sind weiß und blendend hell, manchmal leicht ins Bläuliche spielend, andere Male orangefarben. Die Mehrzahl der Blitze ist von keinem Geräusch begleitet, nur von Zeit zu Zeit hört Alma in der Ferne ein leichtes an- und abschwellendes Rollen. Alma würde gerne die Sekunden zählen, aber wegen der Häufigkeit der Blitze und der Seltenheit des Donners kann sie nicht unterscheiden, zu welchem Blitz das Grollen gehört. Deshalb zählt sie für sich so dahin, angenehm betäubt vom mechanischen Aneinanderreihen der Zahlen, in Betrachtung der Schattenrisse im Garten, der Regenschraffuren, von denen sie nicht loskommt, einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig, vierundzwanzig, damit sie nicht an all diese Dinge denken muß, die wie gewohnheitsmäßige Altersschmerzen sind, dort, wo es durch allzu ausgiebigen Gebrauch zu Abnützungen gekommen ist, wo durch endlose Wiederholungen zwei Gedanken auf empfindliche Nerven drücken.
    Daß sie Otto nicht in ihren Schoß betten konnte. Sie kann denken, soviel sie will, es gibt keinen Ersatz dafür, daß sie ihre Kinder, als sie starben, nicht in den Armen gehalten hat. Manchmal denkt sie mit einem sacht unter der Asche glühenden Groll, die Kinder hätten besser auf sich aufpassen sollen. Aber in Wahrheit ist es ein Vorwurf gegen sich selbst, weil das Aufpassen und Beschützen in den Aufgabenbereich der Mutter fällt. Sie würde es gerne besser machen, sie würde – doch wenigstens – den Kopf des toten Otto in ihren Schoß nehmen dürfen und den Kopf der toten Ingrid. Ob das eine Rettung wäre? Vielleicht. Und ihren Mann, Richard, würde sie in den großen Fauteuil setzen, den er zuletzt bevorzugt hat. Sie würde ihm den grün bezogenen Schemel zum Hochlagern der Füße bringen, dann wären alle versammelt (nochmaliges Zunehmen des Regenprasselns), alles wäre in Ordnung (wieder ein oranger Blitz), vielleicht nicht in Ordnung, nein (was für ein Sauwetter), aber besser.
    Einmal ging Alma rüber ins Bad, Ingrid saß völlig verschlafen am
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