Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Es bleibt natürlich unter uns

Es bleibt natürlich unter uns

Titel: Es bleibt natürlich unter uns
Autoren: Horst Biernath
Vom Netzwerk:
zwei Zentner Brät für alle Fälle standen im Kühlraum über einem glitzernden Eisparkett.
    Und dann war in der Nacht vom Samstag auf Sonntag der Sturm losgebrochen, und mit dem Sturm ein Wolkenbruch, der das Ausmaß einer Sintflut erreichte, der die Ache in einen reißenden Strom verwandelte, den Fluß in wenigen Stunden hoch über die Ufer treten ließ, die Stadt überschwemmte und die Schaustellerbuden und das Festzelt auf dem Massmann-Platz einfach wegspülte. Es war eine Hochwasserkatastrophe, wie sie Aldenberg seit jenem denkwürdigen sechsundneunziger Jahr, als das Wasser die alte Brücke mitriß, nicht mehr erlebt hatte. Aber damit nicht genug, waren im ganzen Süden des Landes die Bahndämme unterspült und die Bergstraßen vermurt worden. Die Omnibusse — soweit sie die Fahrt nach Aldenberg überhaupt angetreten hatten — blieben in Schlamm stecken. Das Fest fiel aus. Und in der leidgeprüften Stadt Aldenberg riß der Lammwirt den Herrgott, der ihm zu allem Kummer, den er ihm schon mit seinem schwachsinnigen Kind angetan hatte, nun auch noch die Würste im Keller verrecken ließ, von der Wand der Gaststube herunter, wo er im Winkel über einem Buschen Bergkiefern und vertrockneten Enzianblüten seinen Platz gehabt hatte, trug ihn in den Keller und knirschte: „So — da gehst abi und schaugst, was du angerichtet hast!“ Seitdem verkehrte die Geistlichkeit von Aldenberg nicht mehr im ,Lamm’.

    *

    Lothar Lockner bummelte durch die Bahnhof Straße. In den Vorgärten untersuchten Hausbesitzer die Schäden, die der Winter am Spalierobst und an den überdeckten Rosenstöcken angerichtet hatte. Der alte Doktor Hopfenbauer — Kropfenklauer genannt — weil er in seinem Leben mehr als zweitausend Kröpfe in Aldenberg und Umgebung herausgeschnitten hatte, ein Gärtner aus Leidenschaft, seit ihm ein Starleiden das Skalpell aus der Hand genommen hatte, sammelte mit einer Kehrichtschaufel in die blaue Schürze, die er vor den Bauch gebunden hatte, den goldenen Segen auf, den die Rösser vom Spediteur Ebert gerade vor seinem Hause fallengelassen hatten. Er genierte sich auch nicht, die frischen Roßbollen mit der Hand anzulangen; lieber Gott, er hatte in seinem Leben schon ganz andere Sachen angefaßt.
    Lothar Lockner schlenderte müßig dahin. Seinen Antrittsbesuch im Verlagsgebäude bei Herrn Alois Lobmüller hatte er hinter sich. Und er hatte sogar ein Zimmer gefunden. In der Feldstraße siebzehn, keine acht Minuten vom Verlag des ,Aldenberger Anzeiger’ entfernt. Ein Zimmer mit Plüschmöbeln, einem braunen Kleiderschrank, einem runden Tisch mit handgestickter Decke, und einem soliden Bett. Es hatte sogar einen separaten Eingang, aber Frau Oberbaurat Seidenschnur, eine dürre Witwe mit nervösen Gesichtszuckungen hatte ihn gleich darauf aufmerksam gemacht, daß sie einen sehr leisen Schlaf habe, und daß sie Damenbesuche auch während der Tageszeit nicht gestatten könne. Es war das Zimmer, das vor ihm Herr Böhlke bewohnt hatte, und wenn Frau Seidenschnur an Herrn Böhlke auch manches auszusetzen hatte, unter anderem, daß er die Asche seiner Zigarren rücksichtslos auf den Smyrna gestreut hatte, — den Separateingang hatte er nie ausgenutzt. — Im übrigen hatte Frau Seidenschnur, die es liebte, mit Frau Oberbaurat angesprochen zu werden, Übung mit möblierten Herren. Wie in Hotelzimmern war neben der Tür eine Glocke angebracht, und unter der Glocke stand auf einem Schildchen zu lesen:

    Rasierwasser 1mal läuten
    Tee 2mal läuten
    Kaffee 3mal läuten

    Die Qualität des Kaffees richtete sich nach den Wünschen des Mieters, der den Kaffee zu stellen hatte. Lockner glaubte der Oberbaurätin aufs Wort, daß das Mädchen Therese, das schon seit elf Jahren im Hause war und die nervösen Gesichtszuckungen ihrer Herrin in einer etwas abgemilderten Form übernommen hatte, kein Gramm Bohnen für sich verbrauchen würde.
    Nun hing also der Reserveanzug einsam in dem braunen Schrank, der ein wenig nach Bücklingen und Hartwurst roch, der schmale Wäschebestand ruhte in dem Oberfach, die Hausschuhe standen unter dem Bett, und die Halbschuhe mit den schiefen Absätzen hatten ebenfalls einen Platz gefunden. In der Brieftasche hatte er noch immer seine achtundzwanzig ,Piepen’ und konnte in Ruhe an das Abendessen denken. — Er genoß den Spaziergang. Die sieben Jahre, die hinter ihm lagen, waren nicht ganz erfreulich gewesen. Man hatte doch immer die Peitsche im Rücken und einen leeren Raum vor sich gespürt,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher