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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen
Autoren: Edgar Allan Poe
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mich, als ich den Weg betrat, nach rechts gewandt und verfolgte aufsteigend dieselbe Richtung. Der Pfad zog sich in kurzen Serpentinen dahin, so daß ich ihn keinen Augenblick lang weiter als zwei oder drei Schritte überschauen konnte. Sein Äußeres wies nicht die geringste Veränderung auf.
    Plötzlich klang mir Wassergemurmel lieblich ins Ohr, und ein paar Augenblicke später, als ich mit dem Wege eine etwas schärfere Wendung machte, als es bisher geschehen, erblickte ich am Fuße eines sanften Abhanges gerade vor mir ein Gebäude. Ich konnte es jedoch wegen des Nebels, der das kleine Tal vor mir füllte, nicht genau erkennen. Die Sonne ging gerade unter – ein sanfter Wind sprang plötzlich auf. Und während ich auf dem First des Abhanges stehen blieb, zerstreute sich der Nebel und flatterte in Flocken über dem Bilde vor mir.
    Wie dieses nun sichtbar wurde, ganz allmählich, nach und nach – hier ein Baum, dort ein aufschimmernder Wasserstreifen, dann wieder ein Stückchen Dachfirst – konnte ich mich der Vorstellung nicht erwehren, das Ganze sei nur ein Spiegelbild.
    Während der letzte Nebel vollständig hinwegtrieb, war die Sonne hinter die anmutigen Hügel gesunken und schien mir plötzlich, als habe sie einen kleinen Schritt gegen Süden gemacht, durch einen Hohlweg, der im Westen aus dem Tal hinausführte, in vollem purpurnen Glanze entgegen. Wie durch Zauberkraft wurde das ganze Tal und alles in ihm von glänzendstem Lichte erleuchtet.
    Der erste Blick auf die Landschaft, nachdem die Sonne in die eben beschriebene Lage gesunken war, machte mir den Eindruck, den ich als Kind oft von der Schluß-Szene eines Melodramas oder sonst eines geschickt gemachten theatralischen Schauspiels empfing. Alles erinnerte mich daran, selbst die Übertriebenheit der Farben war die gleiche; denn das Sonnenlicht schoß in flammendstem Orange und Purpur durch den Hohlweg, und das strahlende Grün des Rasens wurde von der leichten Dunstdecke, die mir noch immer zu Haupten hing, als zögere sie, sich von diesem so bezaubernd schönen Anblick zu trennen, auf alle Dinge zurückgeworfen.
    Das kleine Tal, in das ich, so unter meinem Nebeldache stehend, hinabblickte, mochte nicht mehr als vierhundert Ellen lang sein; seine Breite schwankte zwischen fünfzig, hundertfünfzig, ja, vielleicht zweihundert Ellen. Am nördlichen Ende war es am engsten und erweiterte sich, doch nicht regelmäßig, nach Süden zu. Vielleicht achtzig Ellen vom Südende entfernt war es am weitesten. Die Abhänge, die das Tal umrahmten, konnten mit Ausnahme derer am Nordende kaum Hügel genannt werden. Dort jedoch erhob sich ein steiler Granitblock zu einer Höhe von etwa neunzig Fuß; und das Tal war, wie ich schon bemerkte, an dieser Stelle nicht mehr als fünfzig Fuß breit.
    Ging man jedoch nach Süden zu, so fanden sich zur Rechten und zur Linken Abhänge, die weniger hoch, weniger steil und felsig waren.
    Kurz, nach Süden hin wurde alles niedriger und sanfter; und doch war das ganze Tal so von mehr oder minder hohen Anhöhen umgeben, daß nur zwei Stellen frei blieben. Eine von diesen habe ich schon erwähnt; sie lag nach Nordwesten und ließ durch einen regelmäßigen, natürlichen Spalt in der Granitmauer das Licht der untergehenden Sonne hinein. Dieser Spalt mochte, so weit das Auge in ihn hineindringen konnte, an seiner weitesten Stelle zehn Ellen breit sein und schien wie eine natürliche Chaussee in das Innere noch unerforschter Berge und Wälder zu führen. Die andere Öffnung befand sich genau am südlichen Ende des Tales. Hier waren die Hügel im allgemeinen nur sanfte Abhänge, die sich vielleicht hundertundfünfzig Ellen weit von Osten nach Westen hin ausdehnten. Ungefähr in ihrer Mitte war eine Senkung, deren Boden mit dem des Tales gleiche Höhe hatte.
    Auch die Vegetation wurde, wie alles andere, nach Süden hin niedriger und sanfter. Im Norden erhoben sich, wenig Schritte von dem steilen Abgrund entfernt, die prächtigen Stämme weißer und schwarzer Nuß-, Eichen- und Kastanienbäume, deren starke Seitenäste sich weit über den Rand des Abgrundes erstreckten. Weiter nach Süden hin erblickte der Beschauer dieselben Bäume, doch waren sie da weniger hoch, weniger zahlreich, überhaupt weniger großartig in ihrer Erscheinung; hier wuchs die zartere Ulme inmitten von Sassafrasund Heuschreckenbäumen, weiter grünte die lieblichere Linde, der sanfte Ahorn, und auf diese folgten noch anmutigere, biegsamere Arten. Der ganze südliche
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