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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen
Autoren: Edgar Allan Poe
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Chemikers Schlafzimmer. Hier durchsuchten sie Kästen und Schubfächer, entdeckten aber nur einige unwichtige Papiere und etliche Gold- und Silbermünzen. Endlich, als sie unter das Bett blickten, gewahrten sie einen großen, einfachen Fellkoffer, der weder Schloß noch Scharnier hatte; der Deckel lag achtlos quer über der Kiste. Bei dem Versuch, diesen Koffer unter dem Bett hervorzuziehen, stellte es sich heraus, daß ihre vereinten Kräfte (es waren ihrer drei, alles starke Männer) ›ihn nicht um einen Zoll vom Platz zu rücken‹ vermochten. Das verwunderte sie sehr, und einer von ihnen kroch unters Bett, spähte in die Kiste und sagte:
    »Kein Wunder, daß wir ihn nicht bewegen konnten – er ist bis zum Rand mit alten Messingstücken angefüllt!«
    Der Mann stemmte nun die Füße gegen die Wand, um einen festen Halt zu bekommen, und schob mit aller Macht, während die andern mit ganzer Kraft zogen; so gelang es schließlich mit vieler Mühe, den Koffer unter dem Bett hervorzuholen und seinen Inhalt zu prüfen. Das angebliche Messing, mit dem er gefüllt war, bestand aus lauter kleinen, platten Stücken von Erbsen- bis Dollargröße, doch waren sie, obgleich alle mehr oder weniger flach, von unregelmäßiger Form und sahen ›eigentlich ganz so aus wie Blei, das in geschmolzenem Zustand auf den Boden gegossen wurde, um abzukühlen‹. Nicht einer der Beamten ließ es sich einfallen, dies Metall für etwas anderes als Messing zu halten. Der Gedanke, daß es Gold sein könne, kam ihnen natürlich gar nicht; und ihr Erstaunen ist wohl zu begreifen, als es andern Tags in ganz Bremen bekannt wurde, daß die ›Menge Messing‹, die sie so verächtlich zum Polizeiamt geschafft hatten, ohne sich die Mühe zu machen, sich eine Handvoll anzueignen, nicht nur Gold – wirkliches Gold – war, sondern reineres Gold, als je gemünzt worden ist – kurz: ganz reines Gold, ohne die geringste nachweisbare Beimischung!
    Ich brauche nicht die Einzelheiten der Eingeständnisse Kempelens (soweit er sie machte) und seiner Freilassung zu erörtern; sie sind der Öffentlichkeit bekannt. Daß er im Geiste und in der Tat – wenn auch nicht buchstäblich – das uralte Problem vom Stein der Weisen gelöst hat, kann kein Mensch mit gesunden Sinnen mehr bezweifeln. Die Ansichten Aragos haben natürlich ihre Berechtigung; aber er ist keineswegs zuverlässig, und was er von Bismuth sagt, muß cum grano salis  genommen werden. Die nackte Wahrheit ist, daß bis jetzt alle Analyse versagt hat; und solange Kempelen uns nicht selbst den Schlüssel zu dem von ihm aufgegebenen Rätsel zeigt, ist es mehr als wahrscheinlich, daß die Angelegenheit jahrelang im status quo verbleibt.
    Alles, was man bis jetzt weiß, ist: ›daß reines Gold leicht und nach Wunsch hergestellt werden kann, und zwar aus Blei in Verbindung mit gewissen andern in Art und Menge unbekannten Substanzen.‹
    Die theoretische Berechnung beschäftigt sich natürlich mit den sofortigen wie auch den späteren Resultaten dieser Entdeckung – einer Entdeckung, der wohl kein denkender Mensch eine gewisse Einwirkung auf die jüngste Aufschließung Kaliforniens als Goldland absprechen wird; und diese Betrachtung führt uns unweigerlich zu einer andern – der Unzeitgemäßheit der Entdeckung Kempelens.
    Wenn bisher viele davon abgehalten wurden, nach Kalifornien zu gehen – einfach durch die Überlegung, daß Gold infolge seines reichlichen Vorhandenseins in jenen Minen nun notgedrungen im Werte sinken müsse und die weite, gefahrvolle Suche daher vielleicht nicht einmal lohnend sei – welch eine Bewegung wird jetzt die Gemüter derer erfassen, die auszuwandern beabsichtigen, und vor allem derer, die bereits dort sind im Goldlande? Was werden sie zu der ungeheuren Entdeckung Kempelens sagen? Einer Entdeckung, die in so beredten Beweisen feststellt, daß, abgesehen von ihrer wertvollen Verwendbarkeit zu Industriezwecken (wie immer diese Verwendbarkeit auch sein mag), Gold nun keinen größeren Wert mehr haben wird als Blei – und weit geringeren Wert als Silber (denn es ist nicht anzunehmen, daß Kempelen sein Geheimnis lange bewahren kann).
    In der Tat ist es außerordentlich schwierig, die Folgen der Entdekkung vorauszubemessen; eines aber kann festgestellt werden: daß die Bekanntgabe der Entdeckung vor sechs Monaten die Auswanderung nach Kalifornien voraussichtlich äußerst stark beeinflußt haben würde.
    In Europa hat sich bis jetzt als bemerkenswerteste Folge eine
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