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Erzähl es niemandem!: Die Liebesgeschichte meiner Eltern (German Edition)

Erzähl es niemandem!: Die Liebesgeschichte meiner Eltern (German Edition)

Titel: Erzähl es niemandem!: Die Liebesgeschichte meiner Eltern (German Edition)
Autoren: Lillian Crott Berthung , Randi Crott
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einer Bank sitzen. Der eine schaut in ihre Richtung, sieht sie und
kommt näher.
    »Ja, das ist Schlohfeld«, sagt Emma leise.
    Jetzt sind sie auf gleicher Höhe.
    Der Mann schiebt etwas durch den Zaun. Es ist ein Zettel. Lillian
greift danach und steckt ihn in die Manteltasche. Der Mann entfernt sich. Und
auch die beiden Frauen gehen weiter. Jetzt bloß keinen Verdacht erregen. In der
Bahnhofshalle tun sie so, als würden sie die Abfahrtszeiten der Züge studieren.
    Erst zu Hause holt Lillian den Zettel wieder hervor. »Seien Sie
heute um 24 Uhr oben beim ersten Signalmast. Passen Sie auf, dass Sie nicht
beobachtet werden. Nehmen Sie kein Gepäck mit. Wenn es heute nicht funktioniert,
dann erst wieder in 14 Tagen.« Lillian starrt Emma an.
    »Heute Nacht schon. Und ganz ohne Gepäck!«, sagt sie in einer
Mischung aus Entsetzen und Freude.
     
    Nach dem Mittagessen bittet Lillian Emma um Arbeit, damit die
Zeit schneller vorbeigeht. Im Laufe des Nachmittags bügelt sie ein Dutzend
Schlachterschürzen aus fester Baumwolle, die nur schwer zu glätten sind.
    Am Abend packt sie eine kleine Reisetasche. Mit hinein kommen drei
Tennisbälle für Helmut, dänische Pralinen für seine Mutter, Zigarillos für seinen
Vater und reichlich belegte Brote von Emma. Dann macht sich Lillian noch einmal
auf, um sich den Weg zum Signalmast ganz genau anzusehen.
    Der Mast steht ein ganzes Stück vom Bahnhof entfernt auf der
gegenüberliegenden Seite der Gleisanlage. Sie wird also nachher an der Straße
über den Zaun steigen müssen, um über die Böschung zu den Gleisen zu gelangen.
    Später sitzt sie mit Emma und Carl im Wohnzimmer. Alle drei sind
sehr angespannt. Gesprochen wird wenig. Schließlich schenkt Carl allen ein Glas
Cognac ein.
    Carl hat Lillian vorgeschlagen, dass sie das Haus erst verlassen
soll, wenn das Geräusch der einfahrenden Lokomotive aus dem Süden zu hören ist,
der Dampflok, mit der Schlohfeld den Nordexpress aus Deutschland bringt. Die
Dänen haben noch ihre Oberleitung, deshalb wird in Padborg eine elektrische
Lokomotive vorgespannt.
    Bis halb zwölf ist nichts zu hören. Lillian tritt ungeduldig ans
Fenster. Draußen gehen dänische Grenzer mit geschulterten Gewehren vorbei.
Plötzlich sagt Carl zu Emma: »Hättest du das eigentlich auch für mich getan?«
    »Niemals, Carl«, sagt Emma. »Niemals.«
    In diesem Augenblick hört man die Lokomotive.
    Lillian umarmt die beiden Menschen, denen sie so viel zu verdanken
hat.
    Wenig später ist sie am Zaun. Niemand ist zu sehen. Sie wirft ihre
Tasche über den Zaun. Dann steigt sie selbst hinüber. Sie will gerade die
Böschung hochklettern, als sie hinter sich auf der Straße Schritte hört. Es
sind zwei Wachen. Lillian wirft sich in das hohe Gras und hält den Atem an.
    Sie ist unbemerkt geblieben. Sie wartet noch ein wenig und steigt
dann die Böschung hoch. Oben, an den Gleisen, singt jemand. Zwar leise, aber
deutlich vernehmbar. Und der Gesang kommt näher. Sie macht sich hinter einem
Busch ganz klein. »Lieber Gott«, denkt sie, »mach, dass mich niemand sieht.«.
    Jemand geht ganz dicht an ihr vorbei. Dann hört sie ein hartes
metallisches Geräusch. Es ist wohl ein Bahnwärter, der eine Weiche umgestellt
hat. Singend verschwindet er in der Dunkelheit.
    Lillian atmet auf.
    Dann fährt der Nordexpress in den Bahnhof ein. Das ganze Gelände ist
hell ausgeleuchtet. Suchscheinwerfer schwenken über die Gleise, von links nach
rechts und wieder zurück. Der Signalmast, zu dem Lillian soll, ist noch ein
ganzes Stück entfernt.
    Tief gebückt läuft sie die Gleisen entlang, bis sie ihn erreicht
hat. Sie kauert sich in das Gras und wartet. Laute Rufe sind zu hören. Das
müssen die Bahnarbeiter sein, die die Dampflok vom Nordexpress abkoppeln.
Funken blitzen von der Oberleitung. Die dänische Elektrolok ist vorgefahren und
hat den Zug übernommen. Gleich wird Schlohfeld mit seiner Dampflok für die
Rückfahrt da sein. Lillian sieht zu ihrem Entsetzen, wie die abgekoppelte Lok
plötzlich an einer Weiche eine andere Richtung nimmt und vor einem ganz anderen
Signal hält. Wie soll sie das schaffen? Sie muss über mindestens vier Gleise! Lillian
gibt sich einen Ruck. Sie läuft in gebeugter Haltung über die Gleisanlagen,
springt über die Bohlen und Schwellen. Zum Schluss versagen ihr die Kräfte. Sie
stolpert und fällt gegen die Trittleiter am Führerstand von Schlohfelds
Lokomotive.
    Jemand beugt sich über sie, greift nach ihr und zieht sie hinauf zum
Führerstand,
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