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Erst ich ein Stück, dann du - Hexengeschichten

Titel: Erst ich ein Stück, dann du - Hexengeschichten
Autoren: P Schröder
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nicht ahnen, dass sie so wichtig sind“, presste Luzie hervor. „Außerdem hast du gerade eben noch behauptet, du könntest die Geheimschrift entziffern.“

    „Ja, das kann ich auch“, erwiderte Rolfi.
    „Aber ohne Feder wirkt der Spruch nicht.“
    „Ohne Feder keine Warzen?“, fragte Luzie.
    „Wirklich nicht?“
    Der Rabe schüttelte den Kopf.
    „Wo sollen sie denn überhaupt hin?“,
    fragte er.
     
    „In Tante Floras Gesicht“, antwortete Luzie.
    „Hm“, machte Rolfi. „Das sieht bestimmt toll aus.“
    „Man muss sie natürlich auch wieder wegzaubern können“, meinte Luzie. „Ich sage ihr, dass ich die Warzen sofort verschwinden lasse, sobald sie bei Mama ein gutes Wort für mich eingelegt hat.“

    „Dann brauchst du aber noch einen weiteren Spruch“, seufzte der Rabe. „Und eine zweite Feder.“
    Oje! Das war keine gute Nachricht. Luzie überlegte, ob sie Rolfi nicht einfach wieder in den Käfig sperren und auch dieses Mal auf das Sommersonnenwendefest verzichten sollte. Aber dann wedelte der Rabe ihr ungeduldig mit seinem Flügel vor der Nase herum, und so fasste sie sich ein Herz. Luzie kniff die Augen ganz fest zu, tastete nach dem Flügel und zog nacheinander zwei Federn heraus.
    „Während du den Zauberspruch aufsagst, musst du damit über deine Kehle streichen“, erklärte Rolfi ihr. „Aber du darfst auf keinen Fall die gleiche Feder zweimal benutzen.“
     
    „Und warum nicht?“, wollte Luzie wissen.
    „Weil der Spruch dann nicht wirkt“,
    sagte der Rabe.
    „Oder er wirkt anders.“
    „Wie denn anders?“, fragte Luzie.
    Rolfi druckste herum.

     
    „Das weiß ich auch nicht so genau“, gab er endlich betreten zu. „Ich kann ja nicht alles wissen. Jedenfalls nicht, wenn ich mein halbes Leben lang im Käfig hocken muss.“
    Luzie musterte ihn nachdenklich. Genau genommen ging es dem Raben nicht anders als ihr. Sie fühlte sich schließlich auch irgendwie eingesperrt. Wenn ihre Mutter ihr die Erlaubnis geben würde, auf das Sommersonnenwendefest zu gehen, würde sie sich viel freier fühlen. Aber Mama Bambura hielt sie offenbar noch für ein Baby. - Ha!
    Jaaa, und was Rolfi betraf, da hatte Luzie einfach Angst, dass er wegflog und nicht mehr zu ihr zurückkam. „Was ist denn jetzt?“, drängelte der Rabe. „Willst du nicht endlich den Zauberspruch ausprobieren?“
     
    Luzie nickte.
    Schnell packte sie Rolfi,
    stopfte ihn in den Käfig
    und schloss die Klappe.
    Der Rabe fluchte und wetterte.
    Aber das half ihm nichts.

    Luzie steckte die beiden Federn in ihre Schürzentasche, wetzte aus dem Zimmer und stürzte nach unten, wo sie vor dem Schlafgemach ihrer Tante stehen blieb. Sie verschnaufte kurz, dann klopfte sie an die Tür.
     
    „Tante Flora, bist du da?“, rief Luzie.
    Nichts rührte sich.
    Alles blieb ruhig.
     
    Kurz entschlossen drückte sie die Klinke hinunter. Die Tür sprang auf und Luzie steckte vorsichtig den Kopf ins Zimmer.
    Ihre Tante saß in ihrem violetten Plüschsessel, schaute in ihren Handspiegel und lächelte. „Aber natürlich, Liebes, aber natürlich“, murmelte sie und küsste ihr Spiegelbild.
    Luzie stöhnte. Das war doch wirklich zum Frösche verfluchen! Flora war so vertieft in ihre Selbstbewunderung, dass sie nicht einmal merkte, dass ihre Nichte ins Zimmer gekommen war.

    Luzie holte eine Feder
    aus der Schürzentasche.
    Sie strich damit über ihren Hals
    und sagte: „Wirzi Warzi hin.“
    Plopp! Plopp! Plopp!, machte es,
     
    und drei Sekunden später war Floras Gesicht mit dicken schwarzen Warzen übersät. Luzie wunderte sich, dass sie den Zauberspruch tatsächlich richtig aufgesagt hatte, noch mehr aber erstaunte sie das Verhalten ihrer Tante.
    „Aber natürlich, Liebes, aber natürlich“, seufzte Flora überglücklich und bepflasterte ihren Handspiegel nun von allen Seiten mit Küssen.
    Da stimmt was nicht, dachte Luzie. Irgendwas läuft hier verdammt schief.
    Leise tappte sie auf ihre Tante zu. Sie umrundete den Sessel und sah über Floras Schulter hinweg geradewegs in den Spiegel hinein.
    Das Gesicht, welches ihr daraus entgegenblickte, hatte überhaupt keine Ähnlichkeit mit ihrer Tante. Es war jung und zart, beinahe elfengleich. Und was das Tollste war: Auf diesem Gesicht gab es nicht eine einzige Warze.
    „Verflixt, verflucht, verdonnert!“, schnaubte Luzie.

    Flora schaute kurz auf. „Aber natürlich, Liebes, aber natürlich“, erwiderte sie kopfschüttelnd und widmete sich wieder ihrem Spiegelbild.
     
    Luzie raste in
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